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Khios und Lesbos (GR), Ayvalik (TR) / August 2004

"Coast Guard helikopter calling sailing vessel!"

Unsere einsame blaue Ankerbucht im Golf von Kirkdilim ist zwar schön und sicher, dennoch fühlen wir uns so langsam etwas windgezaust. Fallböen sind hier wie so oft ein Thema. Der Wind fällt von den Bergen auf's Meer herab, verstärkt sich dabei und peitscht dann mit Vehemenz über's Wasser. Das ist ein häufiges Phänomen in diesem Revier. Unangenehmer Nebeneffekt: die Wasseroberfläche kühlt stark ab, der Sprung hinein ins kühle Naß verlangt Überwindung. Nach zwei Tagen und Nächten, in denen unsere Ankerkette praktisch durchgehend straff stand, entschließen wir uns deshalb zum Aufbruch.

Es gibt mehrere mögliche Ziele, wir machen unser Tagesziel mal wieder von Wind und Wetter abhängig. Gute Ankermöglichkeiten gäbe es laut Seekarte im Golf von Mersin. Doch schon von weitem sehen wir: der Golf ist voll mit Fischzuchtanlagen. Und wo Fischzucht ist, ist das Wasser trübe und verschmutzt, und die Umgebung steht voller Wellblechhütten. Kein Idyll. Mersin fällt also aus. Als nächste Destination käme Agriler Limani in Frage. Dort ziert jedoch schon von weitem sichtbar ein gewaltig häßlicher Betonhotelklotz die Landschaft, Trillionen von Surfsegeln blitzen in der Sonne, und zur Krönung weht uns noch ein Düftchen von ungeklärten Abwässern entgegen. Nix wie weiter!

Im Dunst machen wir die Umrisse von Khios aus. Im großen Handelshafen von Khios soll es geräuschvoll und bewegt zugehen, deshalb wollen wir uns die nahe gelegene Marina ansehen. Keiner unserer Revierführer sagt was Genaues, da steht nur lapidar "geplant" oder "im Bau befindlich". Die gedruckte und die elektronische Seekarte wollen gleich gar nichts von einer Marina hier wissen. Dennoch: wir sehen klar und deutlich die Steinschüttung und den Wellenbrecher, ebenso die rot-grüne Einfahrtbefeuerung. Davon aber nicht nur eine, sondern gleich zwei! Dementsprechend ist die richtige Einfahrt auch kaum auszumachen. Als wir sie dann endlich auseinandersortiert haben - ein Hafenbecken scheint für Fischer geplant zu sein, eines für die künftige Marina -, nähern wir uns vorsichtig der Einfahrt. Knapp davor dann große Überraschung: Wo die Wassertiefe 3 bis 4 Meter sein sollte, zeigt unser Echolot plötzlich nur noch 1,6 m an! Nur zur Erinnerung: Coco hat 1,75 Meter Tiefgang. Wir halten die Luft an, geben voll Rückwärts, und drehen ab.

Eines wissen wir jetzt jedenfalls: unser Tiefenmesser hat eingebauten Spielraum.

Also doch in den Hafen! Immerhin soll es dort einen sicheren Steg geben für Privatyachten. Dem streben wir zielsicher entgegen. Doch Gestik und Mimik des Hafenmeisters sind unmißverständlich: "Fort von hier!" Alle Plätze hier am Steg sind fest privat vermietet, Gastlieger sind nicht willkommen. Wir dürfen dann zumindest an der Pier im Süden des riesigen Hafens anlegen. Doch leider trifft es zu was unser Hafenhandbuch sagt: das Hafenwasser in Khios ist sehr bewegt. Ein dauerndes Kommen und Gehen großer und kleiner Fähren, Frachtschiffe und Kümos wirbelt das Wasser auf, Coco schwankt kräftig auf und ab im Schwell an der Pier, was nicht besonders angenehm ist, und schon gar nicht besonders sicher. Der Hafen hat immerhin eine halbe Meile Ausdehnung, und somit ist unsere Südmole auch nicht gerade gut gegen den vorherrschenden Nordwind geschützt. In Ruhe liegen lassen können wir Coco hier also keinesfalls, um die Insel zu erkunden, was wir eigentlich in den nächsten Tagen vorhaben. Aber für eine Nacht wird's schon gehen. So verbringen wir und eine englische Yacht einsam als einzige Gastyachten die Nacht in dem Riesenhafen.

Bei der Gelegenheit mal ein paar Grundlagen für die Nichtsegler unter euch: Hafenliegen muß man sich in dieser Gegend so vorstellen: Die Yacht liegt mit dem Heck zur Pier, rechts und links eine Leine, oft wegen überstehender Beton-, rostiger Eisen- oder versenkter Fahrzeugteile ein Stück weit entfernt, natürlich gerade so weit, dass man nicht mehr problemlos über die Gangway von Bord kommt. Der Buganker ist vorne versenkt im zähen Schlamm, manchmal auch sicher in anderen Anker- oder Muringgeschirren oder sonstigem Müll verhakt. Wenn man Glück hat - und das hat man in dieser Beziehung meist - führt auch die Hauptstrasse des Ortes direkt an der Pier vorbei, so dass man stets Gelegenheit hat, die neuesten Errungenschaften der Spoiler- und Autozubehörindustrie zu bewundern und ausgiebig echte Stadtluft zu schnuppern. Etwa so ab 22 Uhr erhält man dann ohne weitere Berechnung eine Auswahl gängiger Pop-, Rock- oder Discomusik, alternativ griechischer Folklore oder schrillem Türkpop, natürlich gleichzeitig aus verschiedenen Lokalen und stets in höchster Lautstärke.

Wer im Urlaub Erholung und Ruhe sucht, sollte nicht mit Segeln anfangen...! -

Natürlich fordert auch hier die griechische Bürokratie ihr Recht: Vom Hafenpolizisten werden wir freundlich, aber bestimmt aufgefordert, uns in Bälde ordnungsgemäß bei Polizei und Hafenamt anzumelden. Der Weg ist weit. Wie meist liegen die Büros unserer Anlegestelle diametral entgegengesetzt, das scheint ein Naturgesetz zu sein. Was soll's, Bewegung hat noch nie geschadet. Und wir lernen am Weg gleich die Hafenfront kennen. Die zahlreichen trendigen Cafés sind rappelvoll mit smarten jungen Griechen und -innen, die alle ihr Nationalgetränk schlürfen: Nescafé Frappée.

Die bürokratischen Hürden sind dann in einer knappen halben Stunde genommen: Die Kosten für die polizeiliche Meldung sind mit 88 Eurocent äußerst überschaubar, und wir bekommen dafür immerhin zwei schöne dicke Stempel auf zwei dreifachausgefertigten Formularsätzen. Wofür? Keine Ahnung. Der nächste Weg führt dann zum Büro des Hafenmeisters, wo wir den Obulus für's Liegendürfen berappen, mit drei Euro pro Tag auch keine große Sache.

Weit sind wir hier weg vom internationalen Tourismus. Selbst die Speisekarte in der überfüllten Ouzeria ist nur in griechischer Sprache. Das gab's bisher noch nirgends. So lassen wir uns vom Wirt übersetzen (sehr viele Griechen verstehen ausgezeichnet Englisch) und bestellen frittierte Sardinen, das obigatorische leckere Tzatziki, Horta - eine Art Blattspinat - in Öl und Zitrone eingelegt, dazu Wein und Ouzo. Beim Absacker an Bord überlegen wir die Alternativen für morgen.

Moskitobilanz der Nacht: 15 Tote, 2 Verletzte. Wo kamen die bloß her, trotz Moskitonetzen in Türen und Luken? Normalerweise ist unsere Kabine absolut Off Limits für die Biester. Wir glauben, dass wohl eine Moskitofrau doch irgendwie reinkam und ein Ei gelegt hat (legen Moskitos Eier...?). Jetzt ist auf einmal die ganze Horde Moskitokinderchen geschlüpft und hat uns vermöbelt. Aber wir haben uns bitter gerächt; unsere Mission war klar: keine Gefangenen!! Unsere eigenen Verletzungen behandeln wir mit Moskitostift und dem alten Hausmittel: kräftig kratzen.

Khios macht es uns nicht leicht. Wir sehen uns an der Ostseite zwar noch ein paar Piers und Ankerplätze an, sie sind jedoch alle nicht geeignet, um Coco sorglos unbeaufsichtigt liegen zu lassen. Wir beschließen schließlich, das Projekt Khios auf später zu verschieben. Auf unserem Rückweg zum Winterplatz nach Kos kommen wir ja nochmal vorbei.

So laufen wir Oinoussa an. Oinoussa ist die kleine längliche Insel im Nordosten von Khios, und bekannt dafür, dass sie einige der reichsten Reederfamilien der Welt hervorgebracht hat. Der schöne, kleine Naturhafen ist unser Ziel. Wie im Amphitheater liegen die Häuser des Ortes rund um den Hafen am Hang. Der Hafen selbst wird aus drei winzigen Inseln gebildet. Jede Insel hat ihre eigene Kapelle, eine sogar ein Kloster. Die heimischen Schiffahrtsmilliardäre leben längst nicht mehr hier, sondern in London, New York und Sydney. Hier wird bestenfalls noch ein kleines Häuschen unterhalten, so mit zwanzig, dreißig Zimmern, gepflegter Parkanlage, weiß gekalkter Privatkapelle und fahrbereiter Motoryacht inklusive Besatzung. Nur für den Fall. Man könnte ja vorbeischauen wollen.

Das einzige, was uns hier im Hafen augenfällig an Geldadel erinnert, ist die riesige amerikanische Motoryacht, die neben uns an der Pier liegt. Zwölf Stunden am Tag läuft der Generator. Was wäre auch das Leben ohne gecrushte Eiswürfel für die Caipirinhas!? Und ohne Dauergeflimmer auf der Riesenleinwand für die lieben Kleinen!? An Spielzeug zählen wir übrigens: zwei Gummiboote, diverse Surfbretter, Wakeboards, Wasserski, eine Segeljolle, ein Jetbike, und für's Land noch ein paar Mopeds und Fahrräder. Naja, der Neid der Besitzlosen.


Oinoussa: Coco's Mast ist hinter der Motoryacht gerade noch zu sehen

Auch hier kaum Tourismus. Eine deutsche Charteryacht aus der Türkei, ein paar größere Motorboote und ein paar kleine einheimische Kajiks, ab und zu ein Taxiboot und eine kleine Passagierfähre. Ruhig ist es hier. Feigenbäume wachsen in freier Natur, auf einem Spaziergang befreien wir mehrere von ihrer reifen Last.


Feigenernte

Wir bleiben ein paar Tage, erwandern tags die Insel, und genießen nächtens die Ausblicke auf die fernen Lichter von Khios und der türkischen Küste. Abschied feiern wir schließlich in einer hübsch gelegenen, unscheinbaren Ouzeria in Hafennähe. Ein paar frittierte Sardinen, Kalamari, Salat, dazu eine Flasche Rotwein, fünfzig Euro. Also doch eine Millionärsinsel, man sieht's nur nicht gleich...


Frische Kalamare


Die Überfahrt nach Lesbos, etwa fünfzig Meilen, verläuft bei Windstille absolut ruhig. Das Meer ist ein Ententeich. Dunstigweicher Horizont. Nur unser Diesel brummelt sonor in die Stille hinein. Die spiegelglatte Oberfläche des Wassers wird hin und wieder aufgewühlt durch Unmengen springender Fische. Seevögel gehen erfolgreich auf die Jagd. Gleich mehrmals sehen wir Schulen von Delfinen, ein Pärchen begleitet uns sogar eine Weile!

Nach fünf Stunden Maschinenfahrt frischt es nachmittags auf, südlich, also Schiebewind, perfekt. Lesbos, die drittgrößte Insel Griechenlands (nebenbei: mit 11 Millionen Ölbäumen!), bietet zwei große Golfe. Auf den ersten Blick traumhaft für Segler. Bei näherem Hinsehen gibt es jedoch nur wenige gute Ankerplätze. Während draußen der Wind mit 20 Knoten weht, ist es drinnen im Golf von Yeras windstill. Wir gehen auf gut haltendem Schlickgrund vor Anker, zwischen einer Öltankanlage und einer Abwrackwerft, auch für Anspruchslose kein besonders bezaubernder Anblick. Doch die Nachbarbuchten sind voll mit Fischfarmen oder liegen offen im Schwell, wir haben sie gecheckt.

Gut ausgeschlafen sieht am nächsten Morgen alles wieder besser aus. Schöner ist unser Ankerplatz zwar nicht geworden, doch dafür finden wir in Plomari, dem kleinen Hafenstädtchen an der lesbischen (darf man das so sagen...?) Südküste, einen Yachtsteg, nagelneu gebaut und noch in keiner unserer Karten vermerkt. Wir funken den Hafenmeister an, ob wir dort hin dürfen. Ja, wir dürfen, und es gibt sogar Muringleinen. Luxus, wo wir ihn am wenigsten erwartet hätten. Nebenbei bemerkt, auch hier kostet der Liegeplatz nicht mehr als die obligatorischen 3 Euro pro Nacht, plus 88 Cent für die schönen Formulare der Port Police.



Coco hat an der Yachtpier von Plomari festgemacht

Und hübsch ist der Ort auch noch. Vom Hafen aus eine Augenweide, hangelt er sich malerisch am Hügel hoch hinauf. Und unser Bummel offenbart: alles recht nett, alles recht griechisch, alles wenig touristisch.

Mit Einbruch der Dunkelheit kommt Leben in den Ort. Bald meinen wir, halb Lesbos sei auf den Beinen. Wir erfahren auch, warum: Heute Nacht sollen hier die schönsten Pferde der Insel vorgeführt werden. Klar, daß wir uns das ansehen! Vor der Bühne, auf der ein älteres Quintett etwas lustlos, aber dafür umso lauter, seine Instrumente quält, vollführen dann einige Gäule ihre Kunststückchen. Die Zuschauermassen rundum bleiben in stetiger Bewegung, ständig auf der Hut, nicht von den unkontrolliert herumfliegenden Hufen der erschreckten Tiere getroffen zu werden, die diese Art Musik vermutlich auch nicht täglich hören. Der Conferencier nähert sich wachsenden Graden der Verzweiflung, je mehr ihm die Leitung der Veranstaltung entgleitet. Die Prominenz sitzt derweil an einem weiß gedeckten Tisch, macht gute Mine und hofft, dass die Viecher bloß weit genug von ihnen weg bleiben...


Strassentunnels aus üppigem Grün auf Lesbos


Bilderbuchortschaften


Griechisch orthodoxe Kirchen sind meist üppig geschmückt


Auch Oropax hilft nicht viel in dieser Nacht. Erst kurz vor 11 Uhr am nächsten Vormittag fühle ich mich in der Lage, den gebuchten Mietwagen abzuholen. Der Süden und der Osten der Insel strotzen vor dichter Vegetation. Kilometerlang führt die Straße durch "Tunnels" aus üppigem Grün. Im Nordwesten wird das saftige Grün ziemlich übergangslos abgelöst vom Braungold einer sonnenverbrannten, vulkanischen Mondlandschaft. Hier findet sich eine geologische Sensation, ein versteinerter Wald (klick)! Vor mehr als 4 Millionen Jahren war die ganze Region bewachsen mit Wäldern aus riesigen Mammutbäumen, die bei einem gewaltigen Vulkanausbruch verschüttet wurden. Gelöste Mineralien ersetzten im Laufe der Zeit die Stämme Zelle um Zelle, so dass aus Holz Stein wurde. Die meisten dieser uralten Stämme liegen, kein Wunder, doch einige wenige Fragmente stehen noch, schillernd und beeindruckend inmitten dieser trostlosen Wüstenlandschaft.

Mytilini, die Hauptstadt der Insel (die Einheimischen nennen übrigens auch die Insel selbst so), hat fast Großstadtflair. Hier haben der Ägäis-Rat und die Ägäis-Universität ihren Sitz, und natürlich liegt hier der wichtigste Hafen der Insel. Die Stadt hat 30.000 Einwohner, knapp ein Drittel der Inselbevölkerung. Als wir ankommen, Dienstag nachmittags, hat gerade alles geschlossen. Dazu muss man wissen, dass die Geschäfte in Griechenland, oder zumindest auf den griechischen Inseln, an zwei oder drei Tagen, die nicht überall identisch sein müssen, nachmittags geschlossen haben. Das ist einer der wesentlichen Unterschiede zur nahe gelegenen Türkei, wo man sich in der Hauptsaison niemals ein Geschäft entgehen lassen würde und wo die Läden schon auch mal vierundzwanzig Stunden geöffnet sind. So trinken wir erst mal frisch gepressten Orangensaft und überarbeiten unseren Tagesplan.


Im Villenvorort Varia gibt es zwei interessante Kunstmuseen. Eine interessante Abwechslung. Obwohl gut versteckt, finden wir den Ort und schlagen uns durch zum Musée Tériade. Der Verleger Tériade, der in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts in Paris Herausgeber der Publikation "Verve" war, hat dieses kleine Museum seiner Heimatstadt gestiftet. Das bedeutendste Verve Projekt umfasste eine Serie von Kunstbüchern mit Originalillustrationen namhafter Expressionisten wie Magritte, Miró, Chagall und Picasso. Diese Bücher und die Illustrationen sind hier ausgestellt. Ein Leckerbissen für Kunstfreunde, und die ausgezeichneten mehrsprachigen Erläuterungen machen den Besuch selbst für Laien wie uns zu einem äußerst interessanten Erlebnis.


Am Abend sind wir zurück in Plomari. Nach einer leckeren Abendmahlzeit von Sardinen und Ouzo in der "Seven Seas Ouzeria" bleiben wir hängen in einer Art Szenebar am Hafen. Eine junge Liveband spielt griechische Musik. Wieder wird uns bewußt, wie jung und lebendig die griechische Musik doch ist. Kaum einer der Gäste ist älter als Zwanzig oder Fünfundzwanzig, wir sind klar der Seniorentisch.


Coco segelt gerade mal wieder mit einem guten Segelwind, wir nähern uns der türkischen Küste. Der Wind fällt halb bis raum ein, ein Reff ist im Groß, die Genua steht voll, die Segel ziehen Coco mit Kraft voran. Von der Insel Lesbos kommend, die, wie man ja nun weiß, griechisch ist. Wir sind uns dessen natürlich bewußt, aber was soll's, es gab bisher keine Probleme, was sollte also heute anders sein? Wir sind flott unterwegs, an Bord ist alles wohlauf. Da, urplötzlich, hören wir das Geräusch eines Helikopters. In wilder Cowboymanier wird Coco in Höhe der Mastspitze umrundet. Die Kriegsbemalung kennen wir: Weiß-Orange, "Sahil Güvenlik", die türkische Küstenwache! Wir winken erstmal freundlich hoch, versuchen ansonsten unbeteiligt dreinzublicken. Doch so leicht läßt sich ein Coastguardhelikopter im Dienst nicht abwimmeln. Denen ist sicher klar woher wir kommen, also harren wir mit wachsender Spannung der Dinge die da sicher kommen werden. Mittlerweile hat sich der Heli vor unseren Bug gesetzt und fliegt auf gleichem Kurs in gleicher Geschwindigkeit.

"Coast Guard helikopter calling sailing vessel! Coast Guard helikopter calling sailing vessel! Switch on your VHF!" tönt es durch den Rotorkrach unüberhörbar aus dem Außenlautsprecher. Da bleibt uns wohl nichts übrig. Die meinen uns, ist ja sonst weit und breit keiner hier. Wie geheißen schalten wir unser UKW-Funkgerät ein, schalten auf Kanal 16 und harren der Dinge. Lange müssen wir nicht warten: "This is Turkish Coast Guard helikopter calling sailing vessel! Please confirm!"

Also grüßen wir freundlich: "This is sailing vessel Coco de Mer, calling Coast Guard helikopter, over!" Präzise werden wir ausgefragt: Name der Yacht? Flagge? Wieviele Personen an Bord? Woher? Wohin? Auf die Frage nach dem Woher müssen wir leider ein bißchen schwindeln, im Großen und Ganzen können wir aber alles zur Zufriedenheit beantworten. Natürlich wissen die Jungs da oben längst, woher der Wind uns geweht hat. Radar, Bodenstation, der exzellente Blick aus dem Helikopter, genau achteraus liegt Lesbos. Doch sie haben sich wohl von unserer Harmlosigkeit überzeugt und geben sich mit unseren Antworten zufrieden. Nach einem freundlichen "Thank you, and have a nice day!" verschwinden sie am Horizont.


"Coast Guard helikopter calling sailing vessel!"

Aufatmen an Bord. Aber nur kurz. Denn da sich dies alles in rauschender Fahrt abgespielt hat, stehen wir nun bereits in der Einfahrt zum geplanten Ankerplatz am türkischen Festland, die von Untiefen und Riffen gesäumt wird. Die See ist kräftig bewegt, mit beeindruckenden, weißen Schaumkronen oben drauf. Also schnell runter mit den Lappen! Der Wind legt noch zu, es ist immer das Gleiche im Manöver, doch bald tuckern wir unter Maschine gemächlich ins Ziel. Bademli Limani soll eine Anzahl sehr schöner Ankerplätze bieten, so schreibt zumindest Rod Heikell. Immer häufiger bekommen wir den Eindruck, dass der Gute selbst noch nie hier oben unterwegs war. Wieder sind die Skizzen und Karten ungenau, die Beschreibungen und Angaben nicht richtig. Dennoch finden wir einen Platz für die Nacht, wenn auch nicht so schön wie gedacht, Wasser trübtürkis. Dafür können wir uns tags darauf nebenan in eine herrliche Ankerbucht zwischen zwei Inseln verlegen, jetzt mit dem klaren Wasser und hellen Sandgrund, wie gewünscht. Die folgende Nacht ist ruhig, kein Schwell, kein Kneipenlärm, keine Disco-Gülets, nur drei kleine Yachten. So mögen wir es. Wir schnorcheln ausgiebig, lesen, kochen und essen an Bord.

Auf dem Weg zu unserem geplanten Stopover in der Marina von Ayvalik führen wir nochmal ein Gespräch mit unseren Freunden vom Coastguard Hubschrauber, diesmal kürzer, man kennt uns ja schon, alles klar. Ganz schön wachsam, die Jungs. An diesem Küstenabschnitt schlüpft keiner ungesehen durch. Dafür können wir jetzt vom Logenplatz aus beobachten, wie sie einen anderen Segler erschrecken, der vor uns in den Golf von Ayvalik hinein möchte.

Bevor wir aber nach langer Zeit mal wieder in eine Marina gehen, wollen wir uns noch eine Nacht vor Anker gönnen. Auf der Seekarte finden wir zahlreiche Möglichkeiten in der näheren Umgebung von Ayvalik. Leider lärmen in fast allen Buchten Ausflugsgülets und die obligatorischen türkischen Gaudiboote. Damit sind die Plätze sofort für uns gestorben; wenn man kein Masochist ist, muss man den gnadenlosen Krachmachern aus dem Weg gehen. Weiter nördlich finden wir dann doch noch eine gületfreie Ankerbucht in einem fast binnenseeähnlichen Gewässer. Kein Mensch weit und breit, gute Ankertiefe, brauchbarer Grund. Das Wasser ist kristallklar. Und da auch kein Wind herrscht, sehen wir jede Einzelheit am Grund, so auch unsere Ankerkette, die sich zwischen Sand und Gras schlängelt. Die Gaudi-Boote, teils dreistöckig, liegen etwa zwei Meilen entfernt auf der anderen Seite. Wir sehen sie nicht, doch hören, hören können wir sie gut.


Partystimmung an Bord einer der berüchtigten türkischen Gaudi-Gülets!

Beim Schnorcheln sehen wir am Grund einen großen Kraken, der es sich vor seiner Höhle auf zwei Heineken Bierdosen bequem gemacht hat und gar nicht schüchtern, aber doch argwöhnisch beäugt, wie wir zwei Menschen da vier Meter über ihm schweben und auf ihn hinunterstarren. Wir tun ihm nichts, er läßt uns in Frieden, und so scheiden wir als Freunde.


Wasserspiegelungen



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