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Lesbos bis Samos, August/September 2004

Pelikan statt Wachhund

Nach unserem Ausflug in die Großstadt sind wir wieder zurück in Ayvalik. Coco wartet unversehrt in der Marina. Ayvalik wird der nördlichste Punkt unserer diesjährigen Reise, von hier geht es nun vorzugsweise südlich, also "downwind", mit Wind im Rücken. Jedenfalls "In'sch Allah" - so Allah will. Zugleich wird Ayvalik unser letzter (offizieller) türkischer Hafen sein, denn hier wollen wir ausklarieren, da unser Visum abläuft. Doch leichter gesagt als getan: in der Marina erfahren wir, dass unser Transitlog nicht den erforderlichen Eintrag enthält, um hier ausklarieren zu dürfen. Den Buchstaben der einschlägigen Vorschriften gehorchend müßten wir zurücksegeln an die türkische Südküste, denn wir dürfen nur in Datca, Kas oder Finike ausreisen. Wir glauben es nicht, was wir da hören! Was denn da zu machen sei, fragen wir. Der Rat lautet: auf jeden Fall persönlich bei den zuständigen Beamten vorsprechen, dann würde man da vielleicht ein Auge zudrücken. Das heißt also für uns: Bürokratenhürdenspringen und Amtsschimmelreiten beim Hafenmeister, der Port Police, dem Zoll und dem Immigrations Officer. Na wunderbar. Heute ist Sonntag, also warten bis morgen.


Windgezaust

Über Nacht fällt das Baro um 5 Punkte. Der Wind orgelt. Wir marschieren zum Hafenamt, üben unterwegs "freundlich lächeln", kann ja mal nicht schaden. Doch die Mühe ist umsonst, der offizielle Mensch am Schreibtisch nimmt das Formular, hämmert lustige bunte Stempel drauf und schickt uns weiter, zum Zoll. Wir schauen uns an, Daumen hoch, die wichtigste Hürde ist genommen, der Rest dürfte nur noch Formsache sein. Unser Glück war wohl, dass der Beamte nicht Englisch/Deutsch sprach, und deshalb kein Interesse an einer Auseinandersetzung mit uns nicht der türkischen Sprache Mächtigen hatte.

Wir hatten Glück. Wir wissen mittlerweile, dass es auch schwieriger sein kann. Andere mußten ihre Dokumente per Kurier quer durch die Türkei hin und her schicken, bloß um den richtigen Stempel zu bekommen. Kommt halt wie so oft darauf an, an wen man gerät. An dieser Stelle deshalb ein wichtiger Coco-Tipp für Türkeisegler: Beim Einklarieren mit dem Schiff in der Türkei unbedingt darauf achten, dass im Transitlog der Ort eingetragen ist, von dem ihr später ausreisen wollt. Achtet darauf auch dann, wenn ihr den Papierkrieg - wie wir - von einem Agenten erledigen laßt, denn auch da kann das schief gehen, wie wir gesehen haben. Im Zweifel sollte man jeden wichtigeren Ort eintragen, der am Weg liegt, dann kann man dort auch überall problemlos ausklarieren (sofern es Ports of Entry sind, natürlich).

Mitags sind wir zurück an Bord mit allen offiziellen Papieren, Stempeln und Genehmigungen, einschließlich dem Ausreisestempel im Paß. Jetzt darf der Wind abflauen. Doch Fehlanzeige. Also rufen wir die Marina per Funk und bitten, dass man uns den rasenden Marinero mit seinem PS-starken Gummiboot schickt, um unseren Bug in den Wind zu drücken wenn wir aus der Box gehen. Der Gummibootheld kommt dann auch, wir besprechen das Manöver. "Tamam!", alles klar. Wir geben Leinen los und manövrieren Coco aus der Box in die enge Gasse. Ich warte auf den vereinbarten Druck am Bug, doch leider, leider: der Gute saust überall rum, nur nicht da wo wir ihn brauchen; auf dem engen Raum bekommt er sein Boot nicht in den Griff. Das Unterstützungsmanöver versaut er gründlich. Nur mit Mühe gelingt es uns, Coco in der engen Rinne von den anderen Yachten und Muringleinen fernzuhalten. Immerhin haben wir 20 Knoten Seitenwind! Endlich ist er dann doch am rechten Platz, gibt Vollgas, drückt unseren Bug gegen den Wind - wir sind raus und atmen auf.

Tagesziel ist der Hafen Mythilini auf der Insel Lesbos. Wir stellen uns ein auf Rauschefahrt mit viel Wind achterlich. Den haben wir auch noch, solange wir uns in der markierten Ausfahrt aus der Bucht befinden. Doch draußen - flacht es ab! Nach kurzer Zeit ist der Wind weg. Einfach so. Sauerei! Wir motoren.

Kaum nähern wir uns dem Hafen von Mythilini, sehen wir an der Zollpier einen weißgewandeten, goldverzierten und offensichtlich befehlsgewohnten Menschen rufen und winken. Wir sollen an die Zollpier. Blödsinn, wir waren doch NIEMALS außerhalb Europas, schon gar nicht in der Türkei. (Ihr erinnert euch: wir hatten schon vor Wochen in Symi einklariert, und täten wir das jetzt nochmal, wären diplomatische Verwicklungen wohl unumgänglich.) Also halten wir uns einige Meter fern von der Zollpier, schwindeln ein bißchen was von griechischen Inseln und zuletzt einer Lesbosumrundung..., und der Beamte ist zufrieden. Puh, ganz schön stressig mit den Grenzoffizieren hier oben, das hätten wir nicht gedacht! Auf den ersten Schreck folgt gleich der zweite. Gerade festgemacht, empfängt uns schon ein weiterer Beamter und bittet uns freundlich aber bestimmt, ihm zur Port Police zu folgen. Und zwar bitte jetzt und gleich. Oje, lügen wir denn so schlecht? Wie sind die Strafen für illegale Ein-und Ausreise? Wie ist wohl der Knast auf Lesbos? Ob es nach den Jahren im Gefängnis später auch Resozialisierungsmaßnahmen gibt? Und was einem in dieser Situation sonst noch für Gedanken durch den Kopf gehen. Doch alles halb so schlimm. Wir bekommen auch hier unsere Stempel, und so dürfen wir ungerupft auf's Schiff zurück. So wichtig war es der Port Police noch nirgendwo, uns in ihr Büro zu bekommen.


Trödlerladen in Mythilini

Mythilini ist ein hübsches Städtchen mit viel griechischem Flair. Kleine Läden, Boutiquen, Trödler, Mobilfunkshops, Metzger, Bäcker, leckere Konditoreien, alles ist in den Gassen zu finden, die sich vom Hafen weg schlängeln.

Doch leider ist es an der Pier höllisch laut, weil die Hauptverkehrsader der Insel direkt vorbeiführt. Die Abgase aller Fahrzeuge dringen ungefiltert in unser Schiff, und gleich hinter uns ist die Bushaltestelle, an der die rußenden, qualmenden und stinkenden Busse bis spät in der Nacht im Viertelstundentakt "festmachen". Von etwa 23 Uhr bis gut vier Uhr morgens ist dann erst recht Leben auf den Strassen. Südländisches Leben. Ich kann euch sagen...! Da können wir Nordlichter lernen, was richtig feiern heißt! An Schlaf ist nicht zu denken. Nickt man dann gegen fünf endlich erschöpft ein, kommt ein Löschzug der Feuerwehr und säubert die Strassen mit Hilfe von Kompressor und Hochdruckschlauch. Dann steigt schon langsam die Sonne ans Firmament, der öffentliche Busverkehr nimmt seinen Dienst wieder auf, und das Drama beginnt von vorn. Hinzu kommt, dass ein Fabrikschlot dunklen Qualm himmelwärts schickt, der sich - bei geeigneter Windrichtung aus Nord - über das Städtchen legt, sich in die übrigen Abgasdüfte mischt und dass diese Mischung dann einen trüben Film auf Schiff und Lungen hinterläßt.


Auch das ist Mythilini: Abgasschwaden über der Stadt

In Anbetracht dieser wenig idyllischen Situation würden wir gerne schnell weiter. Doch lieber nicht sofort, denn draußen bläst der Wind, der uns am Herweg versagt blieb, und zwar jetzt mit 7 Beaufort. Sturmwarnung im Navtex. Also ein Tag Zwangsaufenthalt. Meine Kopfschmerzen von den Abgasen und dem Lärm bekämpfe ich mit den Medikamenten, deren Hersteller mir zuhause im Fernsehen immer "gute Preise, gute Besserung" verspricht. Erfolglos.

Da der Dieseltankwagen an der Pier bei den Yachties vorfährt, bunkern wir nochmal voll. Dabei läuft mir ein kräftiger Schwall Diesel direkt ins Cockpit. Nicht mein Tag heute.


Fisch a la Coco de Mer

Da heute die Läden geöffnet haben, kaufen wir Obst und Gemüse ein, und dazu zwei frische Doraden für's Abendessen an Bord. Doch so frisch kann der Fisch dann wohl doch nicht gewesen sein, denn in der Nacht und am Folgetag geht es mir schlecht wie lange nicht mehr. Die Abgas- und Lärmkulisse ist auch nicht förderlich. Erst gut vierundzwanzig Stunden später bin ich wieder halbwegs bewegungsfähig, und geschätzte zwei Kilo leichter. So einfach und wirkungsvoll kann eine Abmagerungskur sein...

Schwer lärm-, abgas- und lebensmittelgeschädigt verlassen wir nach drei Tagen die Hafenpier von Mythilini. Im Süden von Lesbos finden wir eine schöne Ankerbucht mit klarem Wasser und gutem Schutz gegen alle Nordwinde. Wir verbringen den Tag mit Schwimmen, Schnorcheln und Lesen. Abendessen gibt es an Bord. Zum Nachtisch dann im Navtex: "Südwind Stärke 5". Das gibt's doch nicht!! Südwind ist hier eine Rarität, damit konnten wir nicht rechnen. Es bleibt uns nichts übrig, als den Ankerplatz zu verlassen, denn nach Süd liegen wir völlig offen. Nicht weit liegt der Golf von Yeras und darin die häßliche, aber absolut sichere Bucht von Scala Loutra, die wir schon von früher kennen. In der Dunkelheit laufen wir unter Maschine hinein in den Golf. Die Zufahrt ist eng, mit Felsen gespickt und - selbstverständlich - unbeleuchtet. Bei Tag kein Problem, doch bei Nacht... Wir nutzen den fast vollen Mond und unseren kräftigen Handscheinwerfer, und tasten uns mit klopfenden Herzen vorwärts, hindurch zwischen Felsen und Untiefen, Fischzucht, Fischerbooten und Fischernetzen. Alles geht gut, und gegen 22 Uhr fällt der Anker in den zähen Schlamm vor der Abwrackwerft von Scala Loutra.

Wir bleiben zwei Tage und warten auf günstigen Wind. Ein schöner Spaziergang führt uns zum Ort Loutra oberhalb von Scala, entlang an herrlichen Olivenhainen mit tausenden der silbrig schimmernden, bizarren Ölbäumen.


Ein uralter, knorriger Olivenbaum

Die einzige Taverne in Scala wartet mit einem seltenen Unikum auf: Jorgo, der Hauspelikan, begrüßt hier die Gäste. Das Tier hat sich die Taverne als Heim auserwählt und fühlt sich sichtlich wohl in der menschlichen Gesellschaft. Respektvoll nähere ich mich, in sicherem Abstand zum langen und wahrscheinlich sehr scharfen Schnabel, und versuche Freundschaft zu schließen. Doch heute sucht Jorgo keinen Anschluß; gelangweilt lugt er mir entgegen, stolziert ein wenig auf und ab und steckt bald schläfrig den Kopf ins Gefieder. War wahrscheinlich ein harter Tag heute.


Jorgo, der Tavernenpelikan

Unterwegs nach Khios herrscht Flaute. Null Wind. Wir motoren. Und das, nachdem wir nun wochenlang auf unserem Nordkurs Gegenwind hatten. Das ist einfach nicht fair. Herta bringt vor lauter Verzweiflung gar ein Tränenopfer dar. Das wirkt: nach fünf Stunden, auf Höhe der Insel Oinoussa, dreht der Wind auf. Endlich segeln wir, gleich mit 20 Knoten Rückenwind! Eigentlich war Oinoussa ja unser heutiges Ziel, doch diesen herrlichen Schiebewind können wir nun auch nicht ungenutzt lassen! Wir wissen, dass die Ostküste von Khios keine guten Liegeplätze für Segler bietet, aber ganz unten im Südosten liegt Emborios, eine sehr kleine Bucht, die aber ausgezeichneten Schutz bieten soll. Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir dann auch den Ort, doch - o Schreck - mehr als die paar Boote, die da schon liegen und offenbar ihren festen Platz an Bojen haben, passen da wirklich nicht rein. An beiden Seiten sind Untiefen und Felsen und in der Mitte reicht der Schwojkreis definitiv nicht aus. Jetzt ist guter Rat teuer. Und wir brauchen ihn rasch, denn das Tageslicht schwindet. Wir haben keine Zeit, um die Tiefen an der kleinen Pier ganz hinten auszuloten, der einzigen Möglichkeit, die wir hier überhaupt sehen. So drehen wir rasch ab, runden das nahe Südkap Khios', und laufen - jetzt natürlich bei kräftig Gegenwind - gen Nordwest, Maschine nahe Vollast. Dort, an der Südwestseite, sollen laut Seekarte noch ein paar Buchten liegen, die einigermaßen Sicherheit versprechen. Es wird ein Wettrennen gegen die Sonne, das wir natürlich verlieren. Die Sonne ist längst verschwunden, im allerletzten Büchsenlicht fällt der Anker auf Grund. Das war - für hiesige Verhältnisse - ein Extremschlag, ungeplant. Siebzig Meilen in zwölf Stunden.

Der Ort ist irgendwie nicht von dieser Welt. Ob es hier schon Leben vor uns gab? Einsam, verlassen und trostlos wirkt die karge Landschaft rundum. Leichter Schwell "versüßt" unseren Schlaf.

Noch einmal reisen wir illegal in die Türkei ein. Auf dem Weg nach Samos übernachten wir bei Sarpdere Limani. Es wäre tatsächlich ein herrlicher Ankerplatz, mit wunderbarem Wasser und "idyllic surroundings", wie unser Pilot Book schreibt, wenn, ja wenn, nicht auch hier wieder unaufhörlich extreme Fallböen aus den Bergen herabpeitschen würden, die sowohl das Wasser als auch unsere Lust am Liegenbleiben doch stark trüben.


Böengeplagter Ankerplatz bei Sarpdere Limani

So brettern wir gleich am nächsten Morgen weiter. Aus den Fjorden und Buchten, die wir passieren, pfeift der Wind in Sturmstärke bis zu 9 Beaufort heraus - gut dass wir vorausschauend mit Reff segeln -, doch als wir uns von Land entfernen, spielt er sich auf Stärke 5 bis 6 ein. Ausgezeichnet. So bekommen wir einen ganztägigen, wunderbaren, schnellen Ritt nach Samos hinunter.

Zum Abschluss des Tages "gönnen" wir uns noch einen kurzen, aber heftigen Ritt gegenan durch die enge Strasse von Samos, und liegen dann wieder an einem unserer Lieblingsplätze der Ägäis, dem Vorhafen von Pythagoreion. Zwar peitschen auch hier Fallböen aus den Bergen auf's Wasser, aber weitaus erträglicher. Und wir liegen erstklassig.


Pythagorion, einer unser liebsten Plätze in der Gegend

Erfreulicherweise liegen an diesem Ankerplatz zurzeit kaum "Plastikbomber", sondern überwiegend individuelle Yachten, "handmade boats" sozusagen. Hier lernen wir auch die SY "Karin" und die SY "Tamena" kennen, zwei schöne, in Fernost gebaute Segelyachten, sehr schiffig, mit viel Holz und Messing und schönen Rissen. Solche Schiffe lassen jedes Seglerherz höher schlagen. Wir verbringen ein paar Abende zusammen, klönen und fachsimpeln, jeden Tag auf einem anderen der drei Schiffe. Die Würze des Seglerlebens.


Die schöne Karin geht ankerauf in Pythagorion

Die Sturmwarnungen reißen nicht ab, und wir richten uns schon fast häuslich ein. Tatsächlich ist der Wind dann zwar nicht annähernd so stark wie vorhergesagt, aber er ist unstet und sehr böig. Wir müssen aufpassen, dass unser Anker nicht Wurzeln schlägt. Von Samos nach Arki sind es nur etwa zwanzig Meilen, und sollte es tatsächlich stark blasen, dann dürfte der Wind zumindest raum einfallen, also von hinten. Kurz gesagt, auf der Überfahrt haben wir alles von Windstärke Null bis Neun. Herzlichen Dank. Und endlich haben wir unterwegs auch mal wieder Besuch: eine vierköpfige Delfin-Familie eskortiert uns. Eine volle Viertelstunde lang jagen die silbergrauen Säuger vor unserem Bug umher, tauchen unter Coco durch, schneiden durch die Wellen und springen immer wieder hoch aus dem Wasser. Wir glauben, sie beäugen uns dabei ebenso interessiert wie wir sie.

Vor Maratho, dem noch winzigeren Inselchen gegenüber der ohnehin schon winzigen Mini-Insel Arki, gehen wir an eine Boje, die dort von den Tavernen ausgelegt sind. Drei Tavernen gibt es hier, und ein paar Zimmer für Einsamkeitssuchende, sonst nichts. Die Crew der "Michelle" hatte uns die rechte (nördlichste) der drei Tavernen ans Herz gelegt, und das mit gutem Grund. Der Oktopussalat mit Kapernblättern ist grandios, der Ziegenbraten ausgezeichnet. Wir vergeben "fünf Coco-Nüsse", die höchste Auszeichnung, eine, die nur wenige griechische Tavernen je von uns erhalten haben.



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