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Patmos, September 2004

Verliebt und verschaukelt auf Patmos

Nach unseren Pier-Erfahrungen in Lesbos wollte ich eigentlich so schnell an keiner Pier mehr anlegen. In Scala Patmos tun wir es dennoch, denn erstens sagen die Forecasts noch immer Sturm voraus, zweitens wollen wir hier nochmal ausgiebig Landurlaub machen, und drittens lädt die Pier geradezu dazu ein. Also gehen wir zwischen drei anderen Yachten längsseits. Die von den Yachties genutzte Pier liegt etwas abseits vom Trubel, der sich ohnehin in Grenzen hält. Im Gegensatz zu Mythilini ist es geradezu paradiesisch ruhig. Massentourismus gibt es hier bestenfalls zur Hauptferienzeit, jetzt im September herrscht Beschaulichkeit. Die Hauptstrasse führt zwar auch hier an der Pier entlang, doch mit wenig Verkehr.


Der Naturhafen von Scala Patmos


Wir sind verliebt. Patmos, die kleine Insel im nördlichen Dodekanes, hat uns bezaubert.

Hoch oben am Hausberg thront die Chora, die pittoreske, blendend weiß gekalkte Ansiedlung, die an die Bergdörfer der Kykladen erinnert. Von hier überblickt man den Hafenort Scala und die gesamte Insel. Die schneeweiße Altstadt selbst wird noch überragt von den massiven grauen Steinmauern des Johannesklosters aus dem 13. Jahrhundert. In einer Höhle auf Patmos soll der Apostel Johannes die Apokalypse niedergeschrieben haben. Patmos zählt daher auch zu den wichtigsten Wallfahrtszielen der Ägäis.

Doch auch weniger christlichen Seefahrern hat Patmos viel Schönes zu bieten. Zum Beispiel grandiose Aussichten über die Insel und über's Meer, in die vielen schönen Buchten hinunter, zu den windigen Nachbarinseln Ikaria und zur Fournoi-Gruppe im Norden hinüber. Hinter jeder Ecke ein optischer Genuß.




Eindrücke aus der Chora von Patmos

Wir mieten uns einen Roller. An einem Tag ist die 12 Kilometer lange Insel bequem von Nord bis Süd, von Ost bis West durchkreuzt. Ideale Mopedgröße! Eine Badebucht ist schöner als die andere. Mal mit, mal ohne Liegestuhlverleih; mal mit feinem Sand, mal mit buntem Kies; mal mit Trubel und Kneipen, mal abgeschieden und einsam; für jeden Geschmack ist was dabei. Weißblau gestrichene Kirchen und Kapellen, wohin das Auge blickt, und im Norden Obst- und Gemüsefelder.



Wir erkunden Buchten und Strände per Scooter




Auch das ist Patmos: Kapellen, Kirchen und Melonenfelder

Hier wie andernorts auf der Welt ist die männliche Jugend allabendlich eifrig bemüht, die versammelten Schönheiten mit allerlei aufgebohrten und tiefergelegten Kleinfahrzeugen gebührend zu beeindrucken. Doch anders als anderswo fährt der aufstrebende Grieche auf Patmos schon auch mal mit dem Motorboot vor die angesagte Kneipe und ankert wenige Meter vom Tisch seiner Angebeteten. So macht man Eindruck - und die Konkurrenz verblaßt in Bedeutungslosigkeit. Schade, dass das in Nürnberg auf der Pegnitz nicht möglich ist...

Der Sturm läßt noch immer auf sich warten. Die Fischer gehen schon seit Tagen nicht mehr hinaus, eigentlich ein untrügliches Zeichen, dass etwas im Anzug ist. Soll uns recht sein, wir wollen ohnehin ein paar Tage bleiben, zumal wir unseren vierzehnten Hochzeitstag gebührend feiern wollen und es hier ein bekanntes Gourmetrestaurant gibt, das "Benetos". Dort reservieren wir einen Tisch, und es war gut das zu tun. Denn das Lokal ist ausgebucht bis auf den letzten Platz. Zur Feier des Tages gönnen wir uns Pasta mit Lobster, und die sind ein wahres Gedicht, dazu einen frischen Robola aus Keffalonia. So muß ein Hochzeitstag schmecken!

Da wir ja ein paar Tage bleiben wollten, hatten wir - clever wie wir sind - beim einzigen Kiosk an der Pier gefragt, ob wir unser Stromkabel an deren Steckdose hängen dürften. Klar durften wir, die Bordfrau hatte ja schließlich einen Großeinkauf an Rauchbarem getätigt. Nach drei Tagen frage ich vorsichtshalber mal, was ich denn so schuldig sei. "20 Euro" tönt es mir entgegen. Mit verschlägt's die Sprache. Zur Sicherheit hake ich nochmal nach. Zwanzig Euro, tatsächlich. Um eventuellen Mißverständnissen vorzubeugen erkläre ich, dass es drei Tage waren, nicht drei Monate. Jaja, das sei schon klar. Also zahle ich und verkneife mir weitere Diskussionen. Selber Schuld, wenn man nicht vorher fragt. Das war der teuerste Bordstrom meines Seglerlebens. Es ist mir eine Lehre.

Es ist halt wie im richtigen Leben: jede junge Liebe muß irgendwann einmal ihre ersten Belastungsproben bestehen.

Kurz nach dem Bordstromfiasko nähert sich die örtliche Autorität in Person des Hafenmeisters. Wir vier längsseits liegende Yachten werden dazu beordert, römisch-katholisch mit Heck zur Pier anzulegen. Wir müssen Platz schaffen, zahlreiche Charteryachten werden erwartet, die normalerweise sonntags aus Kos auslaufen und auf dem üblichen "Dodekanes-in-one-week" Törn dienstags und mittwochs Patmos anlaufen. Selbstredend befolgen wir umgehend und ohne zu murren den Wunsch der Obrigkeit. Tatsächlich dauert es dann auch nicht mehr lange, bis der Startschuß zum Angriff auf Patmos fällt. Die erste Yacht läuft ein, es folgt eine zweite, eine dritte, und sodann folgen kurze Angriffswellen ganzer Flotten tapferer Freizeitadmirale. Dazu eine kleine Armada unserer türkischen Lieblinge, der Gülets. Bald ist Schluß mit der Beschaulichkeit in Scala Patmos. Bei durchaus erschwerten Bedingungen mit kräftig Seitenwind fällt Anker über Anker, Plastikhecks donnern knirschend an die Betonpier, Leinen kommen quer, in allen Muttersprachen gellen Flüche durch's Hafenrund. Besonders interessant wird es, als eine Crew es schafft, in einem konzertierten Generalangriff gleich mehrere Anker und Ketten rauszurupfen. Wir selbst kommen dabei noch glimpflich davon, aus unserer Kette kommt der Gegner frei, und unser Anker hält. Einen Katamaran in der Nähe trifft es schwerer: dessen ausgerissener Anker wird spazierengefahren, bevor die angreifende Yacht dann in der Ankerkette einer nebenan liegenden Gület hängen bleibt. An der Pier und auf den Yachten ist Gucken angesagt, alle helfen mit, vorwiegend natürlich durch Zurufen guter, sich widersprechender, Ratschläge. Helfen ist allerdings schwierig, denn alle haben zu tun, ihre eigenen Yachten zu sichern. Schließlich kommt der tatkräftige Skipper einer Yacht, die nicht direkt betroffen ist und dessen Dingi schon zu Wasser lag, hinzu und unterstützt die in die Falle geratene Yacht mit kräftig Seitenschub mittels Außenborder, und tatsächlich bringt er die Yacht schließlich von der Ankerkettenfalle frei.


Kreuzfahrtschiffe auf Reede vor Scala Patmos

Als dann noch Kreuzfahrtschiffe vor dem Hafen ankern, wird uns der Trubel zuviel. Da der Wind nun auch noch zunimmt, gehen wir kurz entschlossen ankerauf, verlassen die Pier und suchen uns ein ruhigeres Plätzchen abseits von den Massen. Buchten bietet Patmos ja nun wirklich einige, und ein paar davon sehen wir uns an. Tatsache ist allerdings, dass sie bei den derzeitigen Windverhältnissen allesamt stark von Fallböen geplagt sind. Kein Wunder wenn kein Mensch hier liegt. Hinzu kommt, dass die Ankergründe nicht viel taugen, dickes Seegras allerorten. Wir finden dann doch noch einen Ankerplatz nordöstlich von Scala Patmos hinter einem Inselchen, wo wir ganz allein liegen. Die erwähnten Fallböen machen uns das Leben schwer. Sehr schwer. Es ist noch nicht dunkel, wir haben noch die Wahl: Ankersalat oder Fallböen? Wir entscheiden uns für die zweite Option.


Ruppige Überfahrt

Und das haben wir nun davon. Die ganze Nacht stehen wir unter Dauerbeschuß: erst hören wir es aus den Hügeln heranfauchen, dann peitscht es auf uns hernieder, die Wanten singen, die Beschläge ächzen, Coco erzittert und legt sich kräftig auf die Seite. Kurze Pause, dann von vorn. Ich schlafe in dieser Nacht etwa drei Stunden. Das ist nicht die Entspannung, die wir suchten. So entschließen wir uns am nächsten Morgen weiterzusegeln, hinüber zu einer unserer Lieblingsinseln, nach Lipsoi. Der Ankerplatz, den wir zu unserem Ziel auserkoren haben, liegt auf 115 Grad, also Kurs Ostsüdost, gut zehn Meilen entfernt, nur knapp zwei Stunden. Der Kurs führt allerdings unmittelbar an Kap Geranos vorbei, über das unser Pilot Book in bildhaften Worten sagt: "The worst winds will be found around Ak. Geranos. The area is well known by the locals for its rough seas". Seglerherz, was willst du mehr!? Trotz drittem Reff wird die Überfahrt bei Nordwind mit konstant 30 Knoten Wind, in der Spitze bis 38, also Windstärke 7 bis 8, keine reine Freude. Die Wellen, die sich seit Tagen aufgebaut haben, sind hoch wie selten und rennen natürlich querab an. Weiße Schaumkronen brechen sich an der Bordwand, der Wind reißt die Gischt in Fetzen über's Vorschiff davon. Doch sogar unter Selbststeueranlage reitet unser Schiff alle Brecher bravourös ab; wir sitzen dick in Ölzeug eingepackt in der Plicht hinter'm Sprayhood und brauchen kaum einzugreifen.


Coco vor Anker vor Lyra Lipsi

Kurz vor Erreichen des Westkaps von Lipsoi greife ich zum Feldstecher, denn ich glaube nicht was ich sehe: in nördlicher Richtung, gerade um Arki herum kommend, sehe ich Segel. Und zwar nicht etwa gerefft wie bei uns, sondern voll stehend. Dazu Blister und Spinnaker. Die da oben mögen zwar vor dem Wind segeln und deshalb nicht den Kampf mit den Wellen haben wie wir, doch Leichtwindsegel bei 30 Knoten plus??? Bald tauchen mehr und mehr Yachten auf, unser Verdacht verdichtet sich: das muß eine Regatta sein. Und so ist es dann auch. Zweifellos aus Samos kommend, laufen die Yachten ebenfalls Lipsoi an. Die Flotte, etwa 20 Yachten, geht allerdings gesammelt in den Hafen. Wir dagegen steuern eine Ankerbucht weiter südöstlich an. Nachmittags unternehmen wir dann von dort einen Spaziergang hinüber in die Hafenbucht. Die Regattayachten liegen am Steg im Päckchen, und werden auch dort von den Fallböen ziemlich durcheinander gewirbelt. Bei einem Frappée in der Hafenbar sehen wir den harten Jungs und Mädels beim Flicken ihrer zerfetzten Segel und beim Reparieren gebrochener Leinen und Schoten zu. Ungeschoren sind die Regattayachten nicht davon gekommen. Wäre auch ein Wunder.

In der folgenden Nacht werden wir Augenzeugen eines seltenen Naturschauspiels: Auch hier in der Südbucht vor Lipsi fallen Fallböen am Ankerplatz über uns her und zerren an Ketten und Nerven; kurz nach Mitternacht unterbreche ich deshalb meinen ohnehin leichten Schlaf, um draußen mal nach dem Rechten zu sehen. Ein Blick rundum... - was ist das?? Geradewegs gegenüber unserem Ankerplatz, Peilung 145 Grad, in nur etwa 5 Meilen Entfernung, liegt die Insel Leros. Was ich dort sehe erinnert an eine riesige, an zwei Seiten von Fackeln beleuchtete Skipiste. Ich wecke umgehend meine Kopilotin und hole das Fernglas. Rechts und links an den Berghängen zwei Feuerwalzen, darüber Qualm und Rauch, dazwischen schwarz-rote Glut.

Waldbrand ist unsere erste Vermutung, doch: welcher Wald soll denn da brennen?? Leros ist nicht grade eine sehr vegetationsreiche Insel, eigentlich hat es allerorten nur trockene Brauntöne mit bestenfalls wenig und niederem Gestrüpp. Niemals genug Nahrung für ein Feuer dieser Größenordnung! Doch zwischen den "Feuerwalzen" glüht es kräftig, im Fernglas sieht es zudem nach talwärtiger Bewegung aus. Also Lava, ganz zweifellos! Ein Vulkanausbruch auf Leros?? Unsere gesammelten bordliterarischen Werke geben dazu zwar nichts her, aber man sieht was man sieht und das ist eindeutig. Wir alarmieren per SMS einige Freunde, wer weiß, vielleicht kommt ja was in Funk und Fernsehen...?

Irgendwann schlafen wir dann doch erschöpft ein, die zwei voraus gegangenen Nächte mit Hammerböen und Starkwind fordern ihren Tribut. Am nächsten Morgen steigen noch vereinzelt Rauchfahnen von den Hügeln gegenüber auf. Lösch-Helikopter werfen Löschladungen auf letzte Brandherde, ein griechisches Militärschiff und ein Seenotkreuzer kreuzen im betroffenen Gebiet. Es scheint alles im Griff zu sein. Wir sind der "Katastrophe" entronnen.

Abends erfahren wir dann, daß es doch "nur" ein Waldbrand war. Auf Leros gibt es nun mal keine aktiven Vulkane. Der letzte Vulkanausbruch in Griechenland war vor 170 Jahren auf Nisiros, und davor vor 3.500 Jahren auf Santorin.

Trotzdem, für uns - nur wenige Meilen entfernt, in einer Starkwindnacht, einsam vor Anker schwojend am Logenplatz - war dieses nächtliche Naturschauspiel aufregend und unheimlich.


Vulkanausbruch auf Leros??

Hinweis: Die Redaktion bittet die unbefriedigende Bildqualität zu entschuldigen. Das Foto wurde unter stark erschwerten Bedingungen (kurz nach Mitternacht, bei bis zu 30 Knoten in Böen am Ankerplatz, aus etwa sechs Meilen Entfernung und mit Hilfe eines Fernglases) von Bord aus aufgenommen.



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