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Juli 2005 | Kos - Mykonos

Kein Wind in der Ägäis

"Where is Kalymnos?" - die Frage trifft mich überraschend. Wir sind weit draußen auf See. Gut fünfunddreißig Meilen achteraus liegt Leros, etwa vierzig Meilen voraus Mykonos. Im Kielwasser liegen bereits fünf Stunden einsame Maschinenfahrt, als ein weißes Motorboot wie aus dem Nichts auftaucht und uns signalisiert, dass es näher kommen möchte. Ich nehme also Fahrt raus, das Motorboot kommt heran, ein sonnenverbrannter Grieche mittleren Alters ruft uns vom Steuerstand aus zu: "Where is Kalymnos?" Ich glaube meinen Ohren nicht zu trauen. Wir deuten achteraus, gen Osten, und noch bevor ich ihm den genauen Kurs und die Entfernung geben kann, legt er schon den Hebel auf den Tisch und flitzt fröhlich winkend davon. Fern jeder Landsicht und offensichtlich bar jeglicher nautischen Kentnisse.

Haben schon Nerven, die Griechen.

Ja, wir befinden uns wieder in hellenischen Gewässern! Vor zwei Tagen sind wir auf der Insel Kos angekommen, nach einer mit Freunden durchzech.., - öhm - durchwachten Nacht in unserer Stammkneipe in Nürnberg, nach dreistündigem Flug mit Start um drei Uhr Nachts. Wer denkt sich nur solche Flugzeiten aus?! Den ersten Tag verbringen wir demzufolge in einer Art Wachkoma. Coco liegt glücklicherweise bereits im Wasser, Antifoulinganstrich und Kranen hatten wir schon von zuhause aus organisiert. Perfekt. So bleiben uns aufreibende Arbeiten heute erspart.


Kos Marina: Vorfreude auf den Sommertörn

Am späteren Nachmittag, halbwegs erholt, kaufen wir ein. Viel ist nicht zu besorgen, und da der bevorstehende Törn "nur" auf vier Wochen angelegt ist und in zivilisiertem Gebiet stattfindet, ist auch die Bunkeraktion in kurzer Zeit erledigt. Die üblichen Bord-Checks fördern keine Mängel zutage. Sicherheitshalber füllen wir Fett in der Stopfbuchsen-Presse nach und tauschen dabei das alte, ranzige komplett aus. Morgen kann's losgehen!

Bei schwachem Wind werfen wir am frühen Nachmittag des nächsten Tages die Leinen los. Ohne konkretes Ziel, die Gegend kennen wir, wir wollen uns erst mal akklimatisieren und dann sehen wir weiter. Sechs Stunden später, bei untergehender Sonne und vierzig Seemeilen weiter nördlich, gehen wir in Ormos Partheni auf Leros vor Anker. Nicht schlecht für den ersten Tag - wenn wir uns auch etwas mehr Wind gewünscht hätten.

Die Vorhersage verspricht uns für morgen Südwind. Könnte nicht besser sein, so können wir gleich Höhe gewinnen und später entspannt mit dem hier üblichen nordwestlichen Wind wieder zurückrutschen.

Am nächsten Morgen kurz nach 0800 gehen wir ankerauf, in froher Hoffnung auf den versprochenen Südwind. Doch der Himmel ist leicht überzogen, es herrscht Windstille. So nutzen wir unseren Flautenschieber und dieseln vorwärts. Kurs 276 Grad, Richtung Nisos Bouvais, einem kleinen unbewohnten Steinhaufen in der Ägäis. Dort werden wir eine erste Entscheidung treffen: je nach Wind- und Seeverhältnissen entweder Kurs Mykonos, was mit knapp achtzig Meilen recht happig wäre, oder Naxos, etwa sechzig Meilen. Kurz vor Bouvais treffen wir unseren eingangs erwähnten griechischen Freund.


Die Maschine erzeugt ausreichend Fahrtwind für unsere Flaggen...

Wir tuckern dahin, gewöhnen uns wieder ein an Bord, schauen hierhin und dorthin, prüfen auch das Rigg, und entdecken so, dass während unserer winterlichen Abwesenheit offenbar eine Vogelfamilie unseren Baum als Heimstatt erwählt hat. Ein hübsches Nest verstopft die Leinenführung an der Baumnock.

Noch ein weiteres kleines Malheur stellen wir fest: keine einzige detaillierte Seekarte für unser geplantes Fahrtgebiet in der zentralen Ägäis ist an Bord! Anhand seiner Aufzeichnungen hatte der vorausdenkende Skipper zwar zuhause den Bordbestand an elektronischen Karten geprüft und auch nachbestellt, doch leider, leider, war er dabei wohl nicht ganz bei der Sache. Nun haben wir zwar zwei identische elektronische C-Map Detailkarten des Dodekanes, dafür aber keine einzige für die Kykladen. Sehr schön.

Gedruckte Seekarten haben wir natürlich auch keine mehr gekauft. Dummerweise sind Seekarten hier auf den Inseln praktisch nirgendwo zu bekommen (mit Ausnahme von Kos, und da dachte keiner daran). Eine Katastrophe ist das dennoch nicht, dank unserem "Elias", dem ausgezeichneten Revierführer Greece, Sea Guide, werden wir schon zurecht kommen. Müssen wir halt die Augen offen halten!

Nach fünfundsiebzig Meilen unter Maschine erreichen wir die Südostspitze von Mykonos. Wind aus Südwest kommt auf. Statistisch kann es das eigentlich gar nicht geben; die Südwindwahrscheinlichkeit liegt unter 5 Prozent. Doch statistisch gibt es hier auch kaum Flauten im Juli, und doch sprechen die Tatsachen für sich. So rollen wir im rosa Abendsonnenlicht eiligst unsere Segel aus. Endlich segeln! Vier Beaufort halber Wind bringen uns doch noch zwei angenehme Segelstunden zum Abschluß dieser langen Überfahrt.

Die Sonne versinkt, als wir vor der Ostseite von Rineia ankern, der kleinen, fast menschenleeren Insel westlich von Mykonos. Gewitter sind vorhergesagt, und da schwojen wir lieber frei vor Anker, als an einer Kaimauer in einem engen Hafen ungemütlich auf und ab zu tanzen. Außerdem steht uns der Sinn noch nach Ruhe.


Am Ankerplatz vor dem Inselchen Rineia

Einsam liegen wir hier, und doch in Sichtweite der berüchtigten Trubelinsel. Die ersten Lichter von Mykonos blitzen schon herüber. Trotz der vorgerückten Stunde springe ich noch kurz in die Fluten. Mein erster Schwimmgang. Herrlich!

Vier Uhr am nächsten Morgen. Schwell am Ankerplatz! Der Wind hat gedreht. Ich bin natürlich wach. Allein und bei Dunkelheit ist da nichts auszurichten, denn hier liegen unmarkierte Unterwasserfelsen, eine exakt vor unserer Bucht und eine zweite mitten in der Einfahrt zu derjenigen, in die ich flüchten möchte. So fluche ich leise vor mich hin und beneide meine Co-Skipperin um ihren tiefen Schlaf. Gegen acht ist dann mein Segelschatz auch schon halbwach, wir verlegen unser Schiff und ich hole den verpassten Schlaf nach.

Kurzzeitig frischt es auf, der Himmel zieht zu, es regnet. Juli in der Ägäis?! Zu kalt zum Schwimmen. Wir holen die Fleecejacken raus, ziehen warme Tennissocken über die Füße, lümmeln uns auf die Salonpolster und vertreiben uns die Zeit mit Lesen. Als es gegen Abend immer finsterer wird und die ersten Blitze in der Ferne über Tilos zucken, bringen wir zur Sicherheit noch den Zweitanker aus. Doch das Gewitter zieht vorbei. Rundum Wetterleuchten. Dann wieder Windstille.

Gut ausgeschlafen genießen wir den ersten erfrischenden Regenschauer des Tages. Als der Spuk nach kurzer Zeit vorüber ist, holen wir die Anker ein und machen uns auf den kurzen Weg nach Mykonos. Am letzten freien Platz in der Marina gehen wir längsseits.

Die Marina Mykonos ist seit etwa fünf Jahren im unveränderten Zustand eines Provisoriums. Dafür sind die Liegegebühren günstig: wir zahlen ... gar nichts. Yachten machen auf der Innenseite der gewaltigen Pier längsseits fest oder römisch-katholisch, je nach Laune und freiem Platz. Die Außenseite ist reserviert für Fähren, Fracht- und Kreuzfahrtschiffe. Per Handy rufe ich den Tankwagen, dessen Mobilnummer an der Pier angeschlagen steht; kurz darauf ist er da und wir bunkern randvoll. Wer weiß, vielleicht brauchen wir den Flautenschieber ja noch häufiger ...

Am späten Nachmittag brechen wir auf nach Mykonos downtown. Von morgens bis spät abends verbindet ein Bus im Stundentakt die Marina mit dem Stadtzentrum, das etwa drei Kilometer entfernt liegt. Seit einigen Jahren ist der alte Hafen von Mykonos für Yachten Off Limits, hier dürfen nur noch Fähren und ein paar Fischer anlegen. Das ist sehr schade für den Ort, finden wir, denn ohne die Yachtieszene hat der Hafen nur wenig Flair. Die Yachtskipper allerdings sind wohl nicht allzu betrübt darüber, hatte der Hafen von Mykonos doch einen äußerst schlechten Ruf, was Sicherheit und Qualität der Liegeplätze betraf. Immer wieder war es zu kleineren und größeren Problemen gekommen. Insofern ist die Marina für uns Segler wenn schon kein schöner Platz, so doch eine sichere Alternative.


Mykonos

An der Strandpromenade und in den engen, überfüllten Gassen tummeln sich wahre Menschenmassen. Wir stürzen uns in das Getümmel, zwängen uns mit durch, ein wenig Windowshopping hier, ein Kafedaki da. Delikater Fisch zum Abendessen im "Caesar's" (am Untertitel auf der Visitenkarte, "Greek Chic", da ist durchaus was dran). Am Heimweg geht noch ein kleiner Ouzo.

Kurz vor Mitternacht sind wir zurück am Liegeplatz. Wir finden Coco in ein Dreierpäckchen eingezwängt an der Pier vor. Zwei Yachten, erheblich größer als Coco, drückt der jetzt auflandige Wind kräftig gegen unser Schiff und an die Pier. Unsere platt gequetschten Fender stöhnen gequält. Wir auch. Aber so ist das halt. Beim Verlassen hatten wir - gute Seemannschaft, bitte schön - Fender an der freien Seite angebracht, um eventuellen Spätankömmlingen zu signalisieren "hier ist noch Platz für euch". Wir konnten ja nicht ahnen, dass wir gleich zwei fette Dickschiffe zu Gast haben würden. Es wäre auch alles halb so wild, würden die hier rücksichtslos schnell ein- und auslaufenden Kleinfähren und Wassertaxis nicht so starken Schwell verursachen, und würden nicht die vom mykonotischen Nachtleben erschöpften Nachbarn gegen vier Uhr morgens im geschlossenen Pulk lauthals über unser Achterschiff und somit einen halben Meter über unsere Köpfe hinweg heimwärts in ihre Kojen trampeln. Naja, sagen wir uns, wer keinen Lärm verträgt, darf halt nicht nach Mykonos. Doch die Nacht geht vorüber und am nächsten Morgen verabschieden sich die beiden Dicken. Unglücklich sind wir darüber nicht.

Wir mieten einen Motorroller und erkunden Mykonos landseits bei sehr stürmischem Gegenwind. Starkwind an Land, Flaute auf See. Na, hoffentlich ändert sich das noch mal!


Mykonos



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