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Oktober/November 2005 | Südwest-Türkei

Gökovas kleine Schwester

Rhodos und die griechischen Gewässer haben wir verlassen. Wir befinden uns noch immer in der Enge zwischen Rhodos und dem türkischen Festland. Überraschend schnell nähert sich ein Frachtschiff, wir segeln vorsichtshalber frühzeitig ein weiträumiges Ausweichmanöver. Dann gehen wir wieder auf Kurs. Rasch nähern wir uns den schroffen Felsen der türkischen Festlandsküste. Mit Hilfe von GPS und Fernglas machen wir bald die nahezu perfekt verborgene Einfahrt zur Bucht Serçe Limani aus. Der Wind legt zu, und gegen 16 Uhr huschen wir durch die schmale Einfahrt hinein. An steuerbord befindet sich ein weithin bekanntes Restaurant, und dort sind zahlreiche Bojen ausgelegt an denen Yachten kostenlos festmachen dürfen. Kaum sind wir in Sicht, da kommt uns auch schon ein Ruderboot entgegen, um unsere Leine anzunehmen. Im Gegenzug für diesen Service wird selbstverständlich unser abendlicher Besuch im Restaurant erwartet. Das ist hier weithin üblich und deshalb für uns auch keine Überraschung.

Sowie wir an der Boje fest sind, möchte unser Helfer gleich noch unsere Landleinen annehmen, um Coco heckseits Richtung Ufer zu vertäuen. Dieses erstaunlich hartnäckig vorgebrachte Angebot lehnen wir freundlich, aber ebenso hartnäckig, ab. Wenn wir schon nicht vor Anker liegen können, wollen wir wenigstens frei im Wind schwojen. Das scheint uns allemal besser, als dem seitlichen Winddruck ausgesetzt zu sein, der hier durch die Landschaftsform unvermeidlich sein dürfte.

Wir genehmigen uns einen Manöverschluck, geniessen die Wärme im Spätherbst: 24 Grad Celsius! Bald verstehen wir dann, weshalb unserem Helfer die Landleinen so wichtig waren. Die Bojen liegen so dicht, dass eine Yacht schon leicht mal drüberschwojt. Das war unseren Adleraugen entgangen. Manchmal sollte man eben doch mehr auf die Locals hören. Nun sind wir zu faul, um noch Landleinen auszubringen, und so machen wir kurzerhand und etwas unkonventionell unser Heck an der hinter uns liegenden Boje fest, um zu vermeiden, dass sich die Schraube oder das Ruder beim Schwojen darin verfängt. Immerhin hat dies den Vorteil, dass wir besser im Wind liegen als unsere später hinzugekommenen Nachbarn, die den Wind seitlich abbekommen.

Serce LimaniSerce Limani
Coco in Serce Limani

Der stets gut gelaunte "Captain Nemo" alias Hassan alias "Hans im Glück", wie er sich selbst nennt, betreibt das kleine Restaurant am Strand. Eine gute Portion Geschäftstüchtigkeit kann man ihm nicht absprechen, doch das macht er mit augenzwinkerndem Humor leicht wieder wett. Rund 35 YTL (Neue Türkische Lire) zahlen wir für einen großen bunten Vorspeisenteller und als Hauptgericht leckeren Fisch ("Lambuca", kaum Gräten, ideal für Brillenträger). Zu vorgerückter Stunde gibt es eine Tanzeinlage des Chefs, zu der er auch seine Gäste ermuntert und der wir als eingeschworene Nichttänzer uns nur mit Mühe entziehen können. Dann gibt's noch Obst und Raki. Das Lokal ist auf jeden Fall einen Abstecher wert.

Gut ausgeschlafen lösen wir uns am nächsten Morgen von den Bojen und machen uns auf den Weg, erst Kurs West, dann Nord. Während der ersten Meilen genießen wir bei 15 Knoten Wind einen schönen 60 Grad Amwindkurs. Am Kap Karaburun dreht der Wind mit Coco mit, und - wie das an Kaps eben meist so ist - weht uns beständig auf die Nase. Kurze Zeit später schläft er ein, wir motoren auf glattem Wasser. Wir passieren den Yesilova Körfezi und lassen schweren Herzens unsere geliebte griechische Insel Symi links liegen. Hisarönü Körfezi, die kleine Schwester des großen und berühmten Gökova Golfs, lockt.

Gökova und Hisarönü Golf
Gökova und Hisarönü Golf

Im Südwesten des Hisarönü Körfezi liegt die kleine Bucht von Dirsek. Unter Maschine dieseln wir hinein und sehen uns um. Wir trödeln weiter zwischen den kleinen Inseln an der Südseite des Golfs hindurch nach Osten. Ankerplätze, die für einen längeren Aufenthalt geeignet wären, finden wir um die Inseln herum keine. Einen kurzen Erholungsaufenthalt erlauben wir uns dennoch an einem idyllisch gelegenen Platz im Westen des menschenleeren Inselchens Kamenya Adasi. Die Insel mag einsam sein, aber Netzabdeckung hat sie. Also mache ich einen Anruf bei meiner Tante Helmi, die heute ihren zweiundneunzigsten Geburtstag feiert! Sie freut sich riesig über den Anruf aus der Ferne, nimmt regen Anteil an unserem Woher und Wohin und kann nicht genug von unseren Erlebnissen hören. Wenn wir es schaffen, mit 92 noch so frisch und munter zu sein, dann haben wir sicher auch Grund zum Feiern!

Nach einem opulenten Salat an Bord holen wir den Anker auf und machen uns auf, den Rest des Weges zurückzulegen. Ganz hinten im Südosten des Golfs liegt die Keçi ("Kedschi") Büki, vielen Seglern auch unter dem Namen Orhaniye Bucht gut bekannt. Hier befindet sich in schöner Umgebung die ruhige, aber gut ausgestattete Marti Marina. Coco steuert allerdings nicht den Trubel der Marina an, sondern wir sehen uns zunächst den inneren Teil der Bucht an. Bei der Ansteuerung dieses hinteren Bereichs sollte man gut auf die von Osten hereinlaufende Sandbarre achten, die bei günstigem Licht gerade eben noch unter der Wasseroberfläche zu erahnen ist. Heute allerdings brauchen wir nicht sehr aufzupassen, denn Urlaubergruppen wandeln fröhlich auf der Barriere entlang wie Jesus übers Wasser. Wir ignorieren die winkenden Wirte auf ihren Holzstegen, drehen ab und suchen uns einen ruhigen Platz hinter dem Inselchen, das in der Bucht liegt.

Gegen Abend machen wir das Dingi klar und queren die Bucht hinüber zur Marina. Dort finden wir drei befreundete Yachten, leider ohne die Freunde, die schon in die Winterpause nach Hause abgereist sind. Statt also alte Erinnerungen aufzufrischen, sehen wir uns die Marina an. Sie ist gut ausgestattet, dabei aber sehr ruhig gelegen, in grüner, waldiger Umgebung. Eine wahrhaftige Marina-Idylle. Der nächste größere Ort, Marmaris, ist gut 25 Kilometer entfernt. Aber mehrmals täglich verkehrt ein Shuttlebus zwischen Marmaris und der Marina, für Marinakunden kostenlos.

Keci Bükü
Coco ankert hinter dem Inselchen in der Keçi Bükü

Nachdem die Sonne versunken ist, wird die Bordküche aktiviert, und wir genießen Pasta in paradiesischer Abgeschiedenheit. Kein Windhauch stört die Ruhe. Am nächsten Morgen liegt Coco noch immer wie einzementiert an exakt der gleichen Position wie am Vorabend. An Deck ist alles klatschnass vom Morgentau. Dicke Tautropfen platschen vom Bimini herab. Ein deutliches Anzeichen, dass wenig Wind zu erwarten ist.

Den herrlichen Herbsttag nutzen wir zur Erforschung einiger der zahlreichen Buchten des Hisarönü Golfs. Beeindruckend ist der tiefe Einschnitt des Bençik ("Bendschik") Fjords an der Nordseite. Schon die Ansteuerung ist ein Erlebnis: Wie Orgelpfeifen liegen die Felsen von Dislice Adasi vor der Einfahrt zu dem schmalen Fjord. In der Zufahrt sieht man rundum am Ufer eindrucksvolle, rötlich-bizarre Tuffstein-Formationen. Massiv verschandelt wird die Umgebung allerdings durch den hässlichen, wuchtigen Klotz eines Robinsonclubs. Der Bençik Fjord erfreut sich auch des Namens "Haifischbucht", weil hier vor vielen Jahren einmal ein Hai gesehen worden sein soll. In einigen der seitlichen Einbuchtungen kann man wunderbar vor Anker liegen und die Natur genießen. Die Ankertiefen sind hoch, man wird nicht umhin kommen, mit Landleinen festzumachen, was angesichts des reichen Baumbestandes rundum aber kein Problem darstellen sollte.

Dislice Adasi
Dislice Adasi

In der dunstigen Windstille des warmen Nachmittags motoren wir weiter, entlang der Nordküste nach Westen. Die morgendlichen Tautropfen hatten wir richtig gedeutet: Es wird der wärmste Tag dieses Törns; bis auf stolze 26 Grad klettert das Thermometer! Als Ankerplatz für die Nacht wählen wir die weite Bucht Kuruca Bükü. Auf bequemen viereinhalb Metern fällt unser Eisenhaken, und Coco schwoit vor einem weitgehend verlassenen Sandstrand, an dem ein paar Liegen und geflochtene Sonnenschirme noch von der vergehenden Sommersaison künden. An der Strandbar sind wir die einzigen Gäste. Nach einem Sundowner und einem Spaziergang zur Bucht Çiftlik Limani, die hinter einer pinienbewachsenen Sandbarriere liegt, kehren wir zurück an Bord.

Kuruca Bükü
Kuruca Bükü

Am folgenden Morgen holen wir über Internet eine Wettervorhersage ein. Das hätten wir mal besser gelassen. Bald wird Schluss sein mit dem schönen Wetter. Schon für den morgigen Abend sagt unser Windguru bis 28 Knoten Wind voraus. Aus Norden, also aus der Richtung, in die wir müssen. Und wir wissen, dass der Wind in der Enge zwischen Kos und dem türkischen Festland gerne noch eins drauflegt. Für uns heißt das: "Ende der Trödelei!" Wir sollten zusehen, Höhe zu gewinnen.

So holen wir bald den Anker auf und machen uns auf den Weg zum Kap von Knidos. Es ist dunstig, das nur wenige Meilen entfernte Symi ist kaum zu erahnen. Eine Delfinfamilie kreuzt unseren Weg, aber sie sind an uns nicht interessiert. Im Datça Golf erfreut uns eine Segelbrise, doch schon am Kap Burnu wird sie - zack - wieder abgeschaltet. Unter Maschine fahren wir ein Rennen gegen einen türkischen Fischkutter, das wir verlieren. Unmittelbar hinter dem Kap wird die See plötzlich unruhig. Fallböen prasseln von Land herab. Binnen Sekunden wechseln die Windstärken von 5 auf 20 Knoten und zurück. Wir motoren weiter. Vier Stunden nach unserem Ablegen von Kuruca Bükü runden wir Kap Knidos. Segel rauf, Segel runter, Segel rauf, Segel reffen, Segel runter. Dazwischen immer mal wieder Maschine an. Vom Rauf- und Runterklettern des Niedergangs zwecks Aktualisierung der Logbucheinträge (es muss ja alles seine Ordnung haben) spüre ich bald erste Anzeichen eines Muskelkaters. Alle paar Minuten ändert sich die Situation. So kann das nicht weitergehen.

Geht es auch nicht. Südöstlich Kos' wird die See plötzlich tiefdunkelblau und wir sehen die weißen Schaumkrönchen aus der Ferne auf uns zusausen. Und endlich haben wir sie, die ersehnten konstanten Bedingungen. 28 Knoten auf die Nase! Es geht auf Abend zu. Wir schauen uns tief in die Augen, nicken übereinstimmend. Maschine an. Gegenan motoren. Nicht das reine Vergnügen. Das Ölzeug bis unter die Nase dicht zugezogen, sitzen wir im Cockpit, verlassen uns auf unseren treuen Volvo und die Robustheit von Cocos englischer Wertarbeit und sehen, wie unser Ziel, die türkische Küste, langsam näher kommt.

Wind auf die Nase

Wind auf die NaseWind auf die Nase
Wind auf die Nase

Nach Turgutreis wollen wir heute nicht, das würden wir auch vor Einbruch der Dunkelheit nicht mehr schaffen. Zwischen Turgutreis und Bodrum liegt die Landzunge von Kocaburun. Im Handbuch steht nicht viel dazu, wir sehen es uns an. Ein kleiner Hafen, der Ort ist wahrlich keine Schönheit. Westlich des Hafens, vor der Einheitskulisse mehr oder weniger hässlicher Betonbauten, finden wir dann doch einen geeigneten Ankerplatz für die Nacht. Geeignet in ankertechnischer Hinsicht, weitere Auswahlkriterien werden nicht erfüllt. Nun ja, es wird ja bald dunkel ... Dieser Platz ist kein Coco-Tipp. Auf Landgang verzichten wir heute.

Abgesehen von der Eliminierung zweier verirrter Moskitos in den frühen Stunden des jungen Morgens ist die Nacht ruhig. Erst gegen sechs Uhr fallen wieder die ersten Böen ein. Für heute sagt der Forecast in der Spitze bis 9 Beaufort voraus. Gut, dass wir es gestern noch bis hierher gemacht haben. Also legen wir weitere Pläne ad acta und setzen Kurs. Eine gute Stunde später haben wir unseren "Heimathafen" Turgutreis erreicht.

Vier Tage sind mehr als genug Zeit für die üblichen Einwinterungsarbeiten. Die Temperatur hat binnen eines Tages auf nur noch maximal 15 Grad abgekühlt. Ideal für körperliche Arbeiten - was will man mehr? Am 1. November kommt Coco in den Travellift, und bald steht sie hoch und trocken und blickt gespannt der nächsten Segelsaison entgegen.


Turgutreis

Turgutreis



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