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Mai 2006 | Tinos, Andros

Kanalarbeiter


Mykonos Sunset
Die Windvorhersage für unsere geplante Marathonstrecke nach Mykonos ist günstig! Rasch verabschieden wir uns am Morgen von unseren Freunden auf der Anahita, die uns bis Patmos begleitet haben, lösen die Leinen und dieseln um das Nordkap von Patmos herum. Dann gehen wir auf Kurs 270 Grad, exakt West. Knapp siebzig Meilen bis Mykonos. Die See ist ruhig, einige Stunden motoren wir, einige Stunden können wir segeln. Nach acht Stunden ankern wir in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne im Süden Mykonos', in der Bucht Ormos Annas, für die Nacht. Es ist unbequem, kalt und böig. Am nächsten Morgen kramen wir Ölzeug und Strickmütze raus, denn es wird gleich kräftig gegenan gehen in der Enge des Kanals zwischen Mykonos und Delos, der winzigen Insel, die das mythologische Zentrum der Kykladen und der Ägäis bildet. Falls wir dann noch nicht genug auf die Schnauze bekommen haben, werden wir heute noch bis Tinos hoch gehen, andernfalls kehren wir in Mykonos ein.

Wider Erwarten bereitet uns die Durchfahrt gegen den Wind eher Spaß als Kummer. Das neue Vorsegel zieht, dass es eine Freude ist. Selbst im dritten Reff läuft Coco noch mit siebeneinhalb Knoten, also Rumpfgeschwindigkeit - oder "Highspeed", wie ein Nichtsegler auf Deutsch sagen würde. So bleibt es denn nicht aus, dass wir Kurs zur nördlichen Insel Tinos absetzen.

Auf dem Weg dorthin passieren wir eine weitere Meerenge, den Kanal zwischen der Nordspitze von Mykonos und dem Süden von Tinos. Wie in allen Engstellen, so wird auch hier der Wind durch den Düsenefekt verstärkt und bläst mit ein bis zwei Stärken mehr als auf offener See. Der Stenon Mikonou ist für dieses Phänomen besonders berüchtigt. Oder wie Rod Heikell, unser Revierführer, es ausdrückt: "There have been a number of masts lost and more blown sails than in the Americas Cup ..." Coco läuft schon mit Minimalbesegelung unter drittem Reff, also halten wir die Luft an und stürzen uns aus der Abdeckung von Mykonos hinein ins windige Vergnügen.

Lang war dem Skipper der Coco schon nicht mehr so schlecht! Sogar ein Plastikbeutel wird im Cockpit bereitgelegt. Zum Ernstfall kommt es dann aber doch nicht. Der Grund für die Übelkeitsattacke ist übrigens nicht der Starkwind zwischen 25 und 30 Knoten, der böig durch den Kanal pfeift, auch nicht die harten Wellen, sondern eher das irre Rumgeschaukele kurz nach dem Passieren der Enge, wo Wind und Wellen offenbar so gar nicht mehr wissen, woher und wohin.

Tinos Fischerboot
Man soll den Spaß ja nicht übertreiben, also kämpfen wir uns die letzten zwei Meilen unter Maschine gegenan zum Hafen von Tinos (37°32,25 N, 025°09,75 E). Kaum passieren wir die Hafeneinfahrt, flaut es auf 12 bis 18 Knoten ab. Kein allzu großes Problem mehr für ein sauberes Anlegemanöver. An der Pier nimmt ein Anlegehelfer unsere Leinen an, sehr dankenswert. Auf meinen Dank "Efcharisto poli!" meint er in breitem oberpfälzer Deutsch: "Gern geschehen. Macht vier Euro! Falls ihr's braucht, gibt's auch Strom und Wasser. Kostet extra." Ob Tassos, so heißt der freundliche Mensch, wohl außer seinem guten Deutsch auch die Geschäftstüchtigkeit im schönen Regensburg gelernt hat, wo er zehn Jahre arbeitete? Doch wer wird sich beklagen, vier Euro Hafengebühr sind wahrlich akzeptabel. Wieder einmal denken wir bei uns, dass diese Kostenkultur durchaus zu den besonders angenehmen Seiten des ohnehin sehr schönen griechischen Segelreviers zählt.

Es gibt eine heiße Dusche an Bord, dann ruhen wir uns aus, ich hab' Ruhe nötig. Doch so direkt an der Hafenpier, unmittelbar am Puls des Ortes und dem mediterranen Trubel des Straßenlebens ausgesetzt, ist meine Phase der Entspannung von kurzer Dauer. Wir geben uns geschlagen und machen aus der Not eine Tugend. Landgang mit Erkundung des Orts.

Tinos
Die heilige Insel Tinos ist berühmt für ihre Religiosität und ihre vielfältigen Wunder. In den Gassen duftet es nach Weihrauch, hinter den staubbelegten Glasscheiben kleiner Läden blitzen silberne und goldene Ikonen, in bunten Trauben hängen kleine Plastikfläschchen für geweihtes Wasser und allerlei religiöser Tand zum Verkauf an den Wandfassaden. Alle Wege führen nach oben, hinauf zur Klosterkirche Panagia Evangelistria, die über dem Ort auf einem Hügel thront. Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts wurde an der Stelle, an der sie erbaut wurde, ein Marienbild in der Erde gefunden, freilich erst, nachdem die Gottesmutter persönlich einer Nonne im Traum erschienen war und ihr die Stelle gezeigt hatte, an der gegraben werden sollte. Kaum von der Erde befreit, bewirkt das Bildnis auch schon die herrlichsten Wunder: Kranke werden geheilt, Leiden gelindert, Unfruchtbaren wird geholfen. Was Wunder, wenn Tinos seither zu den wichtigsten Wallfahrtszielen Griechenland zählt. In den Monaten März und August fallen wahre Heerscharen von Pilgern über die Insel und das Dorf her, um in großer Zahl den beschwerlichen Weg zur Kirche hinauf auf Knien zu kriechen, durch ihr Blut für ihre echten und vermeintlichen Sünden zu büßen, Heilung von Krankheit und Gebrechen zu erflehen und dabei viel Geld in den Kassen der Hotels, Tavernen, Andenkenläden und Kirchen zu lassen.

Doch nicht erst seit der Neuzeit ist Tinos eine Insel der Wunder. In vorchristlicher Zeit war Tinos die Insel des Poseidon, der machtvoll und wundertätig - wie ein klassischer griechischer Gott nun mal so ist - die Insel von einer gefährlichen Schlangenplage befreite und so dafür sorgte, dass auch schon frühere Generationen sich der Wunderkraft dieses Ortes erfreuen konnten.

Tinos Taubenhaus
Eine weitere Besonderheit zeichnet Tinos aus: die zahlreich über die Insel verstreuten Taubenhäuser. Diese mit feinen geometrischen Mustern verzierten Gebäude wurden im achtzehnten Jahrhundert von Venezianern errichtet. Vermutlich, weil die damals hier herrschenden Venezianer nicht auf die Delikatesse der Taubeneier verzichten wollten. Andere Quellen meinen, es ginge mehr um den wertvollen Taubendung, der in den Taubenhäusern gesammelt und dann auf den Feldern verwendet wurde. Wie auch immer, die zierlichen Bauwerke schmücken die ganze Insel und tragen wesentlich zu ihrem einzigartigen, manchmal auch etwas geheimnisvollen, Flair bei.

Im Leihwagen, den uns unser griechisch-regensburger Freund Tassos organisiert hat, machen wir uns auf eine Inselrundfahrt. Mannshoher, gelber Ginster und dichte dunkelrosa Oleanderbüsche säumen die Straßen, violette Disteln und signalroter Klatschmohn - eine explosive Farbenpracht vor den verstreut daliegenden, weiß leuchtenden Kykladendörfern!


Oleander Ginster Blüten


Bei der Besteigung des Inselberges freuen wir uns, Pulli und Jacke mitgenommen zu haben, denn am Gipfelkreuz fegt der noch immer stürmische Wind ungebremst über uns hinweg und lässt uns kräftig frösteln. Doch der einzigartige Blick über die Insel und das Meer, über das der Wind weiße Kronen peitscht, entschädigt uns für all die Mühsal.

Am Abend sind wir zurück im Ort. Wir bummeln durch die Gassen, kaufen in den zahlreichen Läden ein wenig ein, in einem Internetcafé sehe ich zwei Apple Computer und kann als Mac-Fan natürlich nicht widerstehen. Also rufe ich endlich mal wieder unsere E-Mails ab. Wie ich, so ist auch der Besitzer des Cafés über einen iPod Musicplayer auf den Apple-Geschmack gekommen und würde heute um keinen Preis der Welt wieder "back to the dark side", wie er sagt. Klar, dass wir uns bestens verstehen. Gut, dass er seine Leidenschaft im nicht allzu fernen Athen befriedigen kann, wo er regelmässig hin fährt und ein Besuch des Apple Stores zu seinen besonderen Vergnügungen gehört.

Am nächsten Morgen versuche ich einmal wieder mein Glück in einem Vodafone Shop vor Ort. Ich hätte ja so gerne einen griechischen Mobilfunkvertrag mit Datentarif, weil die Gebühren für den mobilen Zugang ins Internet mit deutscher Karte doch recht dramatisch sind. Für die Pflege einiger Kunden-Websites brauche ich aber unbedingt einen solchen mobilen Datenzugang. Zu meiner großen Überraschung erhalte ich im Shop von einer sehr freundlichen Dame namens Eygenia eine ganz ausgezeichnete Beratung. Nach einer guten Stunde eifrigen Wälzens von Tariflisten, Hin- und Herfaxens von Dokumenten und lautstarken Telefonierens mit der Vodafone Zentrale in Athen scheitert die Aktion aber schließlich doch noch. Der Grund ist, dass eine griechische Steuernummer zum Abschluss eines griechischen Mobilfunkvertrages zwingend erforderlich ist. Dazu wiederum muss man entweder griechischer Staatsbürger sein oder braucht einen Bürgen. Den haben wir aber nicht. Damit sind nicht-griechische Staatsbürger außen vor. Als solcher Mensch zweiter Mobilfunkklasse darf man zwar gerne eine Prepaidkarte erwerben, doch die wiederum bietet keine günstigen Datentarife. Für Surfer also uninteressant. Unverrichteter Dinge ziehe ich von dannen.

Zum Ausgleich meint es der Wettergott heute besonders gut mit uns. Binnen Minuten nach meiner Rückkehr an Bord werfen wir die Leinen los und laufen aus zur Nachbarinsel Andros. Der nächste "Kanal", Stenon Dysvaton, die Meerenge zwischen Tinos und Andros, bietet zwar auch den üblichen Düseneffekt und Strömung bis zu 3 Stundenkilometern, hält aber für uns heute keine unangenehmen Überraschungen bereit. Die Enge ist auch nur eine gute Meile breit, insofern sicher kein unüberwindliches Hindernis. Entlang der Westküste von Andros leichte, wechselnde Winde. Etwas motoren, etwas segeln. Am späten Nachmittag ankern wir vor dem beschaulichen Ort Batsi, ein paar Meilen südlich des Haupthafens Gavrion.


Batsi
Batsi im abendlichen Sonnenlicht (37°51,4 N, 024°47,0 E)

Herta wagt sogleich den Sprung ins buchstäblich kalte Wasser. Nach drei Sekunden ist sie wieder an Bord. Real mögen es vielleicht um die 18 Grad sein, gefühlt sind es 13, sagt sie. Später kommen noch zwei Yachten, die an der Hafenmole festmachen. Coco hat also reichlich Raum zum Schwojen, den sie auch brauchen wird, wenn die Wettervorhersage zutrifft. Doch zunächst überlassen wir sie für eine Weile sich selbst und gehen auf Landgang. Der Ort ist hübsch und klein. Um diese Jahreszeit herrscht hier noch wenig Tourismus, die Atmosphäre ist sehr entspannt. Rustikales Abendessen in einer Taverne mit Blick auf unsere Coco in der Bucht.

Die Nacht war windig und böig. Und wie es scheint, wird es vorerst auch so bleiben. Also legen wir zur Sicherheit einen zweiten Buganker, denn wir wollen Coco sich selbst überlassen und uns heute ein wenig die Insel ansehen. Bei zunehmendem Wind besuchen wir das nur fünfzehn Minuten Busfahrt entfernte Gavrion. Dort im engen Hafenschlauch hat es bereits weißen Schaum und fliegendes Wasser! Die zwei Yachten, die der stürmische Wind gnadenlos an die Pier drückt, dass ihre Fender gequält jaulen, tun uns leid. Auf der Dorfstraße wirbelt uns der Wind Staub ins Gesicht, wir müssen aufpassen, nicht von umherfliegenden Dosen und anderem Wohlstandsmüll getroffen zu werden. Batsi als Liegeplatz war klar die bessere Wahl. Doch der stärker werdende Wind lässt uns unruhig werden, und so kehren wir bald zurück zu Cocos Ankerplatz.

Windig in Batsi
Windig in Batsi
(Zum Start des Videoclips auf's Bild klicken!)

Passend zu meinem aktuellen Roman "Talos, Sohn von Sparta" studiere ich in unserem ausgezeichneten griechischen Revierführer (Elias: "Greece, Sea Guide") die dort akribisch aufgezeichneten Aufstellungen und Taktiken der beiden großen Seeschlachten von Marathon und Salamis, die nicht allzu weit entfernt vor 2480 Jahren stattfanden und die das Schicksal Europas so massgeblich beeinflussten. Das dröge Schulfach Geschichte kann auch interessant sein, wenn man nahe am Ort des Geschehens ist.

Nachts flaut endlich mal der Wind ab, doch gegen Morgen bläst er wieder mit gewohnter Kraft. Heute nehmen wir den Bus in die andere Richtung und sehen uns den Hauptort Andros an. Ganz anders als das bisher gewohnte Bild von Kykladendörfern, bestimmt hier eher italienische Architektur das Ortsbild. Die Villen und die Zypressen erinnern an mediterrane Ortschaften im gemässigteren Norden. Nun, wir sind ja nun auch schon fast im gemässigten Norden der Ägäis. Von nun an werden die Inseln grüner, die Winde abwechslungsreicher, die Häuser bekommen Ziegel- oder Schindeldächer.

Zwischen der Nordspitze Andros' und dem Süden der zweitgrößten griechischen Insel, Euböa, liegt noch eine Herausforderung, der Kanal von Kafireos, auch "Doro Strait" genannt. Diese Meerenge ist an der engsten Stelle sechs Meilen breit, und man muss stets mit starker Gegenströmung rechnen, will man von Süd nach Nord. Bei Meltemi oder starkem Nordwind ist ein kleines Schiff gut beraten, die Doro Strait zu meiden, denn die steilen Wellen, die konfuse See und die starke Strömung haben schon manch einem Skipper sein Schiff genommen. Bei Windstärken ab 7 Beaufort warten selbst Frachtschiffe in einer der südwestlichen Buchten von Euböa ab, bis Wetterbesserung eintritt.



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