Übersicht 2006 | zurück | weiter

Mai-Juni 2006 | Euböa, Skyros

Griechische Hafenriffe

Wir haben Glück. Als wir in Batsi ankerauf gehen, haben wir nur einen leichten Dreier aus Nord, mit dem wir zumindest die erste Hälfte der "Doro Strait" einen schönen Amwind-Kurs segeln können. Später bekommen wir gar einen leichten Südwind. Der Windgott meint es heute wirklich gut mit uns. So meistern wir die gefürchtete Passage ganz entspannt und völlig problemlos.

Achtundvierzig Meilen und neun Stunden später haben wir das Tagesziel an der Ostseite Euböas erreicht: Ormos Petries (1). Petries ist einer dieser Orte, die auf den ersten Blick so gar keinen Charme haben. Leider ändert sich das auch auf den zweiten Blick nicht wesentlich. Es ist hässlich, es stinkt nach biologischen Abfällen. Der Fischerhafen ist klein, aber ein paar Yachten finden theoretisch Platz. Sicherlich ist Anlegen vor Buganker mit Heckleinen möglich, scheint uns aber nicht unbedingt ratsam. Deutlich sichtbar liegen am Grund des Hafenbeckens allerlei Schutt, Mülltonnen, Ketten und überdimensionierte Zyklopenanker. Beim Manövrieren im Hafen sollte man gut aufpassen, um nicht mit dem Kiel eines dieser teils vom Grund aufragenden Souvenire einzufangen. Wir verkneifen uns das Ankern im Hafenbecken, denn wir verspüren keine große Lust, später im Trüben fischen zu müssen, um aus den Fängen dieses künstlichen Unterwasser-Riffs wieder klar zu kommen. Längsseits gehen hat allerdings auch so seine Tücken: An der Westpier könnte man tagsüber, doch an jedem späten Abend kehrt die lokale Fischereiflotte heim und dann wird hier entladen. Verständlich, dass die Fischer nicht unbedingt darüber erfreut sind, wenn sie nach hartem Tagwerk auch noch mit Yachties diskutieren müssen, wie sie ihren Fang von Bord bekommen können. Alsdann wäre da noch die Innenseite des südlichen Wellenbrechers. Zum Teil ist dieser immerhin betoniert und macht einen brauchbaren Eindruck; aber Achtung: genau auf Wasserlinie kragt in einigen Bereichen ein Betonvorsprung heraus! Angesichts all dieser Widrigkeiten bevorzugen wir es, im Bereich des Vorhafens zu ankern, der bestens gegen Nordwinde geschützt ist. Leider haben wir zurzeit eher Südwind...


Ormos Petries
Vorhafen von Petries


Ormos Petries
Der Grund, weshalb Coco hier überhaupt verweilt, ist, dass die Bucht von Ormos Petries - abgesehen von dem noch etwas weiter nördlich gelegenen Kimi - der einzige geschützte Platz an der langen Ostküste von Euböa ist. Der Ort hat sich für uns angeboten, weil wir unsere Freunde Mimi und Gerhard hier an Bord nehmen wollen, um dann gemeinsam die grünen Inseln der Sporaden zu besuchen.

Am nächsten Tag finden wir bei einem Spaziergang südwestlich des Ortes Petries doch noch eine "Traumbucht", Klimaki (2), in die wir Coco dann auch sofort verlegen, um unseren für den Abend erwarteten Gästen gleich von Anfang an etwas landschaftliche Schönheit zu bieten. Gegen Ost ist der Ankerplatz zwar völlig offen, aber gegen den seltenen, doch derzeit vorherrschenden Wind aus Süd und Südwest erscheint uns dieser Liegeplatz besser geschützt als der Vorhafen von Petries. Dennoch hat es auch hier einen leichten Schwell, gegen den wir den Heckanker ausbringen. Das Wasser ist von karibischem Blau, der Sandstrand leuchtet hell und sauber, gerade mal drei oder vier Badegäste bevölkern das kleine Paradies. An Land eine einsame Taverne. Dieser Ankerplatz wird in keinem unserer Revierführer erwähnt, und zu empfehlen ist er auch wirklich nur bei Westwindlage.

Trotz aller landschaftlicher Schönheit und der getroffenen Anker-Maßnahmen wird die erste Nacht für die neue Coco-Besatzung eine schaukelige Sache. Nun, so wird die vom heimatlichen Büro verweichlichte Crew gleich an das harte Bordleben gewöhnt.

Kurs Skyros liegt an. Der Wind bläst aus Süd mit Stärke 5, ideal für unseren Nordost-Kurs. Nahezu die gesamte Distanz von 35 Meilen können wir durchsegeln. Leider verbietet uns der Südwind das Anlaufen der attraktiven Ankerbuchten im Süden von Skyros. So erreichen wir zur blauen Stunde den kleinen Hafen von Linaria (3) an der Westseite von Skyros, wo wir einen sicheren Liegeplatz erwarten. Doch statt eines geschützten Liegeplatzes erwartet uns eine große Überraschung: der gesamte Hafenbereich ist Baustelle! Prasselnd schütten Kieslaster ihr Ladegut auf die Mole, Sand wird angeliefert und verteilt, Bagger lärmen, Schwaden von Staub wabern über dem Ort, ein Schwimmschlepper manövriert einen Baukahn quer durch die Stätte der Verwüstung. Die gesamte Pier, an der sonst einige Yachten anlegen könnten, ist abgerissen und größtenteils unzugänglich. Einigermassen sprachlos steht die versammelte Mannschaft an Cocos Reling und betrachtet das Schlamassel.

Nachdem wir uns vom ersten Staunen erholt haben, beratschlagen wir. Ankern in der neben dem Hafen gelegenen Bucht kommt wegen des Süd-Schwells nicht in Frage. Andere, gegen Süd/West geschützte Buchten gibt es in der Nähe nicht. Also gehen wir zunächst einmal ganz vorne am noch halbwegs intakten Fähranleger provisorisch längsseits. An Land versuche ich die Lage zu sondieren. Das Büro des Hafenmeisters ist nicht besetzt. Ich frage in einer Taverne und beim Kiosk am Hafen - niemand weiß Genaueres. Klar ist nur, dass um 20 Uhr die Passagierfähre kommt und über Nacht bleiben wird. Der Fähranleger ist damit also für uns tabu. Nun ist guter Rat teuer. Ich wende mich an die Bauarbeiter. Dort habe ich mehr Erfolg: um 18 Uhr werden die Arbeiten beendet, dann könnten wir uns an das zum Fähranleger angrenzende Ende legen. Dort ist mit Müh' und Not Platz für eine Yacht. Also verlegen wir Coco wie geheissen und gehen an den gewaltigen Bagger-Reifen längsseits. Schließlich liegt Coco einigermaßen sicher, ist ordentlich vertäut mit Leinen und Springs und breitseits gut geschützt mit Fendern und Brettern gegen die ansonsten unvermeidlich von den Reifen drohenden schwarzen Streifen am Rumpf.

In einem Kafeneion am Hafen genehmigt sich der männliche Teil der Besatzung den wohlverdienten Manövertrunk, währenddessen die Mädels den lokalen Markt für Lebensmittel checken. Gerade als wir zum ersten Schluck ansetzen, stoppt ein Wagen neben uns. Ein in elegantem Weiß gekleideter Mensch lehnt sich herüber: "Coco de Mer?" Zögerlich nicken wir, uns schwant Übles. - "Problem!!" - War ja klar; wenn sich die Staatsmacht extra heranbemüht, kann das meist nichts Gutes heissen. Fakt ist: das Passagierschiff vom Festland ist schon in Sicht. Und da es über Nacht im Hafen von Skyros bleiben und zur Sicherheit eine sehr lange Leine durch die halbe Hafenbucht zur Pier spannen wird, steht Cocos stolzer Mast im Weg. Wir müssen also weg von unserem hart errungenen Liegeplatz. Wohin? Darauf hat der gute Mann auch keine Antwort. Es bleibt uns aber wohl keine andere Wahl, als der Aufforderung der Obrigkeit zunächst einmal Folge zu leisten. Und schnell muss es jetzt gehen, denn deutlich hören wir schon die Maschinen des Schiffes! Also eilen wir zu zweit zum Manöver. Coco legt ab, und schon ist auch der Passagierdampfer da. In sicherer Entfernung drehen wir Kreise, beobachten das Anlegemanöver der Fähre und beratschlagen die verbliebenen Möglichkeiten. Mittlerweile sehen wir auch schon unsere Mädels an der Mole, die sich wohl wundern, wo ihr Schiff und vor allem ihre besseren Hälften abgeblieben sind. Sie entdecken uns, und als die Fähre fest ist, kommen wir vorsichtig heran und legen unseren Notfall-Plan dar: Ganz hinten in der Hafenbaustelle verrottet zwischen Baukahn und Bagger ein altersschwaches Kaiki. Dort werden wir festmachen. Das ist die einzige brauchbare Möglichkeit, die wir überhaupt noch sehen. Viel Platz ist nicht: knapp vor dem Zielpunkt liegt unter Wasser ein künstliches Betonriff, gewaltige Blöcke, die hier wohl vorübergehend deponiert sind; hinter dem Kaiki spannt sich das armdicke Tau der Fähre. Unser Manöver sollte also tunlichst auf Anhieb klappen! Mit flacher Atmung und im spitzen Winkel steuere ich auf den Zielpunkt zu - nicht zu schnell, um nicht ein unerwartetes Unterwasserhindernis zu rammen, aber auch nicht zu langsam, damit das Schiff noch steuerbar bleibt. Im letzten Augenblick drehe ich Coco längsseits zum Kaiki, stoppe beherzt auf, Gerhard übergibt die Leinen, Herta und Mimi nehmen sie auf dem Kaiki balancierend entgegen. Es ist vollbracht, Coco liegt fest in der idyllischen Baustelle!


Linaria Hafen
Linaria Hafen
Coco in der Hafenbaustelle von Linaria auf Skyros


Lobster zur Belohnung
Der Crew knurrt der Magen. Der Hunger soll gestillt werden mit den kulinarischen Highlights der Insel: Einem Gerücht zufolge soll es rund um Skyros mehr Langusten geben als Fische! Nicht zuletzt dieses schöne Gerücht hat diese abgelegene Insel für uns schließlich so anziehend gemacht. Wir wählen eine kleine Taverne mit dem einfallsreichen Namen "MELTEMI". Dort sitzt auch die örtliche Geistlichkeit, und das ist nach unserer Erfahrung immer ein gutes Zeichen für die Qualität des Essens. Der freundliche Wirt organisiert sofort das Gewünschte beim Fischer nebenan, und schon verwöhnen wir uns nach Strich und Faden. Mit dem ebenfalls hier heimischen Tsipouro, einem ziemlich starken Anisgebräu - dem bekannten Ouzo nicht unähnlich, aber eine Stufe härter -, spülen wir die Schalentiere runter. Der Wirt freut sich, dass es uns sichtlich gut schmeckt, und spendiert dazu noch einen Mastiko nach dem anderen. Nach vier oder fünf Runden dieses leckeren Digestivs muss die Crew dann allerdings passen, schliesslich müssen wir noch über die Baustelle und das Kaiki klettern, wenn wir heute Nacht noch unsere Kojen erreichen wollen. Und um 6 Uhr 30 wird morgen früh der Wecker klingeln, denn um sieben Uhr beginnen die Bauarbeiten.

In einer Blitzaktion bunkern wir am frühen nächsten Morgen noch per langem Schlauch Wasser von einem Wasserhahn auf der anderen Straßenseite, und als die Fähre ablegt und die Bauarbeiten im Hafen wieder losgehen, verlegen wir uns eilig in die Nachbarbucht, wo wir im leichten Schwell vor Anker rollend mit reichlich Kaffee versuchen, die Wolken aus den Köpfen zu vertreiben und Klarheit über die heutige Route zu gewinnen.

Bei der Gelegenheit noch ein Wort zur Achilles Marina an der Nordostseite der Insel: Nach allem was wir hören, ist dieser Hafen - mit einigen Millionen Euro an Fördergeldern von der EU finanziert - praktisch unbenutzbar. An der dem Meltemi direkt zugewandten Seite der Insel gelegen, türmen sich hier bei dem vorherrschenden Winden derart üble Wellen in der fels- und riffgesäumten Einfahrt auf, dass das Ein- oder Auslaufen ab 5 Windstärken verboten (!) sein soll. Liegen bleiben sollte man bei höheren Windstärken dort aber auch nicht, denn der Schwell im Hafen sei unerträglich bis gefährlich. Ein Paradebeispiel eines dieser "White Elephant" genannten EU-Förderprojekte, bei denen ein schlauer Beamtenkopf ohne jedwede Ahnung von dem was er tut, Unsummen für völlig unsinnige Projekte verschleudert. Die Tankwartin in Linaria sagt auf meine Frage kurz und knapp: "Idiotic. This harbour should never have been built."

Fünf Stunden und dreißig Meilen später laufen wir die Südbucht des verlassenen Eilands Skantzoura an (4). Klares, türkisfarbenes Wasser, Einsamkeit. Für ein paar wenige Yachten wäre hier Platz, eventuell ist Bug- und Heckanker erforderlich. Da wir aber noch immer Südwind und damit hier Schwell haben, segeln wir ein Stück weiter und ankern dann in der ebenso einsamen Westbucht (5), wo wir einen wunderbaren Sonnenuntergang an Bord genießen.

Gäste an Bord
Sonnenuntergang auf Skantzoura
Relaxen auf Skantzoura


Am folgenden Tag geht es weiter Richtung Nordwesten, nach Alonnisos. Nach zweieinhalb windlosen Motorstunden gönnen wir uns und der Crew einen Badestopp in der netten Bucht Ormos Peristeri (6) auf dem gleichnamigen Inselchen vor Alonnisos. Später finden wir dann einen Ankerplatz in Leptos Gialos (7), nahe der bekannteren Bucht Ormos Tzortzi auf Alonnisos. Obwohl wir uns so dicht wie möglich unters südwestliche Ufer legen, müssen wir wieder einmal Landleinen gegen den herein laufenden Schwell einsetzen.

Nach einer ausgedehnten Abendwanderung rund um die beiden Buchten, mit herrlichen Ausblicken aufs Meer und auf einige traumhaft gelegene Anwesen, kehren wir in einer der beiden Tavernen, die sich entgegen anders lautenden Angaben in den Revierführern tatsächlich hier befinden, ein.

Nach sechs Tagen sehen wir erstmals wieder andere Segelyachten.




Ungefähre geografische Positionen der erwähnten Orte:

(1) Nisos Euböa, Ormos Petries: N 38°24,3', E 024°11,3'
(2) N. Euböa, O. Klimaki: N 38°24,2', E 024°11,2'
(3) N. Skyros, O. Linaria: N 38°50,5', E 024°32,0'
(4) N. Skantzoura, Südbucht: N 39°03', E 024°06'
(5) N. Skantzoura, Westbucht: N 39°04,1', E 024°06,8'
(6) N. Peristera, O. Peristeri: N 39°09,7', E 023°57,8'
(7) N. Alonnisos, O. Leptos Gialos: N 39°10,3', E 023°54,4'

Hinweis: Die hier genannten Positionen dienen lediglich zur groben Orientierung. Der Autor übernimmt keine Gewähr für deren Richtigkeit. Insbesondere beim Einsatz im Rahmen seemännischer Navigation obliegt es dem Leser, selbst die korrekten Positionen zu ermitteln bzw. zu verifizieren.







Übersicht 2006 | zurück | weiter