Übersicht 2006 | zurück | weiter

Juni 2006 | Golf von Volos

Die Vathoudi-Clique

Bei zwanzig Knoten achterlichem Wind bläht Coco ihre Segel und fliegt förmlich hinein in den Diavlos Trikeri, die Enge zwischen der Nordspitze von Euböa und der Halbinsel Trikeri. Unser Ziel ist der Pagasäische Golf, besser bekannt als der Golf von Volos.

Golf von Volos
Vorbei an dem gewaltigen, weithin in strahlendem Weiß leuchtenden Marmorsteinbruch, passieren wir unmittelbar vor der Einfahrt in den Golf den hübschen, kleinen Hafenort Limin Agia Kyriaki mit seinen einladenden Tavernen. Erst kürzlich hat uns Walter von der SY Goldfisch den dortigen Werftbetrieb als möglichen, preiswerten Winterliegeplatz empfohlen. Vom Wasser aus sieht der Platz allerdings recht abenteuerlich aus: Die aufgepallten Schiffe stehen kreuz und quer an Land, Aufbauten und Masten teils stark geneigt wegen des steil ansteigenden Grundes. Große Schlitten aus Holz werden ins Wasser gefahren, die Schiffe darauf befestigt und dann auf gefetteten Kufen über den Slip an Land gezogen. Zwischen zahlreichen Fischerbooten blitzen tatsächlich auch einige weiße Segelyachten hervor. Dies scheint uns aber doch eher ein Platz für ganz Hartgesottene zu sein, für uns ist das hier etwas zu extravagant - zumindest aus diesem Blickwinkel. Für eine Entscheidung bezüglich Cocos Überwinterung ist es ohnehin noch zu früh, also segeln wir nach einer kleinen Ehrenrunde weiter, nun endlich hinein in den Pagasäischen Golf.

Palio Trikeri
Palio Trikeri

Rechterhand in der Einfahrt liegt das verschlafene Inselchen Palio Trikeri. In der Bucht vor der Taverne wollen wir zunächst ankern, doch da der Schwojraum knapp und die Betonpier frei ist, gehen wir an letzterer längsseits. Vorteil: nur wenige Schritte in die Taverne! Doch vor den absehbaren kulinarischen Ausschweifungen gönnen wir uns erst noch ein wenig Auslauf. Zu Fuß machen wir uns auf und durchqueren die Insel. Ein idyllisch gelegenes Nonnenkloster verspricht Schatten und Ruhe, also sehen wir es uns an. Eine freundliche Frau schließt sogar extra für uns die Tür zur Kirche auf, wofür wir natürlich ein paar Münzen in den Klingelkasten werfen. Nach zwei Stunden Fußmarsch gelangen wir hungrig und durstig wieder an bei unsere Tavernenpier.
Karavida
Ich lasse mir eine sehr leckere, in der Pfanne gebratene Sargos (Geißbrasse) schmecken, während Herta Karavida (Bärenkrebs) bestellt, aber Garnelen bekommt. Macht nichts, wir freunden uns dafür mit der einheimischen Katzenfamilie an, die unseren Tisch ausdauernd belagert ...

Durch stilles Wasser mit Binnenseecharakter motoren wir am nächsten Morgen weiter. In der südöstlichen Ecke des Golfes liegt die kleine Bucht Ormos Vathoudi, wo wir einen geschützten Liegeplatz zu finden hoffen, um dort unser Basislager aufzuschlagen. Von dort aus könnten wir dann in aller Ruhe den Gebirgszug des Pilion erkunden. Zu unserer Überraschung finden wir hier gut versteckt eine Sunsail Basis; an der Pier ist eine kleine Flotte von Sunsail-Yachten festgemacht. Davor ist der Ankergrund relativ tief, wir finden kaum irgendwo weniger als 10 Meter vor. Es liegen zahlreiche Bojen aus, die aber, wie wir bald feststellen werden, alle in festen Händen sind. Gerade angekommen, beobachten wir, wie ein Katamaran ablegt und eine wunderschöne gelbe Boje freigibt. In Verkennung der Lage steuern wir das Prachtstück an und greifen uns dessen Festmacherleine. So liegen wir nun also bequem und sicher und können uns den üblichen Bordarbeiten widmen. Am späten Nachmittag aber kommt ein Dingi vom Sunsail-Steg herüber gebraust. Darin ein Typ, der sich als Friedrich vorstellt. Friedrich ist der Skipper des Kats, den er vorhin vorübergehend an die Pier verlegt hat, um dort irgendwas zu reparieren. Die schöne Boje ist die seine, und er möchte später gerne wieder ran, weil die Sunsail-Pier nicht besonders sicher sein, falls starker Wind aufkäme. Er bietet uns aber an, dass wir unsere Coco einfach an seinen Kat dranhängen können; die Boje sei stark genug. Ein nettes Angebot, das wir aber dankend ablehnen. Wir wollen uns dann doch lieber vor eigenen Anker legen.

Zuerst aber machen wir Landgang und sehen uns das verschlafene Nest Milina nördlich der Vathoudi-Bucht an. Nach einer Stärkung in Form von gegrilltem Oktopus und Saganaki fühlen wir uns dann fit genug für die Verlegeaktion. Am Steg angekommen, treffen wir Friedrich, der mit Gunnar, dem örtlichen deutschstämmigen Schreiner und Faktotum für alle handwerklichen Arbeiten, an seinem Boot bastelt. Er habe es sich überlegt, da das Wetter ruhig bleiben soll, bleibe er am Steg und wir könnten die eine Nacht an seiner Boje bleiben. Prima, das ist ein Angebot nach unserem Geschmack; wir nehmen gerne an.

Am späten Abend treffen wir Friedrich, Gunnar und noch einen dritten im Bunde, "Steppke", wieder in der Taverne. Steppke fährt zuhause in Deutschland für Mediamarkt Kühlschränke aus, sein wahres Herz schlägt aber in seinem Wohnmobil, das er hier auf dem Werftgelände stehen hat. Zusammen mit zwei weiteren Deutschen, die ebenfalls hier ihr Domizil zu haben scheinen, hat sich offenbar eine interessante kleine Gemeinschaft hier zusammengefunden. Heute wird das Weltmeisterschafts-Spiel Deutschland gegen Polen übertragen. Deutschland gewinnt 1:0, quasi in allerletzter Sekunde. Die deutsche Fanclique in Ormos Vathoudi atmet hörbar auf.

Sunset at Vathoudi
Sonnenuntergang in der Vathoudi Bucht

Wir erfahren, dass auch Friedrich ein Apple Powerbook an Bord hat. Ein seelenverwandter Apple Fan, welche Freude! Friedrichs Notebook dient aber nicht zur Navigation, sondern für etwas viel Wichtigeres: zur Steuerung seiner Bord-Musikanlage! Und die hat's in sich: sein Schiff besitzt nicht nur die übliche On-Bord-Stereoanlage, nein, auf dem Katamaran fährt Friedrich zwei gewaltige, schwere, leistungsstarke und wasserfest ummantelte Lautsprecherboxen spazieren, die er bei passender Gelegenheit im Beiboot an den Strand verfrachtet, wo er dann den Ankerplatz in Konzert-Qualität beschallt. Ob's den Seglerkollegen nun passt oder nicht, wie er sagt ... Die Verbindung zwischen den Boxen und der Anlage (bestehend aus Apple Notebook und iTunes Software) geschieht mittels eines drahtlosen Netzwerks und einem eigens dafür vorhandenen Batteriesystem mit Spannungswandler. Und falls die Reichweite des WLAN Netzwerks mal nicht ausreicht, wird einfach das Beiboot auf halbem Weg zwischen Katamaran und Strand verankert, darauf steht dann eine WLAN-Funkzwischenstation, und schon steht die Open Air Disco!
Soll bitte niemand mehr behaupten, wir Apple-Fans hätten nicht ein Rad ab!

Morgens geben wir Friedrichs Boje frei, wir wollen seine Gastfreundschaft nicht überstrapazieren. Auf zehn Metern Wassertiefe legen wir gut fünfzig Meter Kette aus und fahren den Bügelanker ordentlich in den Grund ein. Wie wir gestern abend erfahren haben, liegen hier auch allerlei Grundgeschirre und Leinen, Netze und anderer Müll am Grund, so dass wir einigermaßen sicher sein können, dass der Anker halten wird ...! Aber erst mal liegen wir gut und sicher, also verdrängen wir den Gedanken, das wir demnächst auch mal wieder Anker lichten müssen. Als Dankeschön für die anstandslose Räumung seines Platzes bringt uns Friedrich später eine selbst gebrannte Musik-CD. "Laut hören" steht drauf, und das beherzigen wir. Aus voll aufgedrehten Cockpit-Lautsprechern tönt eine Mischung aus griechischer Musik, Rock, Pop und Klassik. Zu Strauß-Walzern umrunden wir schwimmend Coco. Ein echtes Gute-Laune-Medley. Friedrich hat den ihm vorauseilenden Ruf als genialer DJ bestätigt!

An dieser Seite der Trikeri-Landzunge befindet sich eine weitere Möglichkeit, sein Schiff an Land zu stellen: eine einfache Werft mit einer Anzahl von Landparkplätzen. Dort treffen wir Steppke wieder, der für uns den Dolmetscher spielt und unsere Fragen an den Werftchef übersetzt. Der Meister, der gerade zusammen mit Kollegen an einem Holz-Kaiki arbeitet, fordert für einen Jahresvertrag 1000 Euro, einschließlich Rein/Raus. Das "Rein/Raus" würde dann so funktionieren: Ein Anhänger mit einem geschweißten Eisengestell wird mit einer sehr langen Eisenstange an einen Traktor angekoppelt. Über eine rostige Metallrampe wird das Gespann am flachen Sandstrand ins Wasser gesteuert. Dem Yachtie obliegt nun die Aufgabe, sein Schiff zielsicher auf das unter Wasser befindliche Gestell zu steuern und möglichst genau darüber abzustoppen. Dann wird das Ganze von Menschenhand fixiert - und der Trecker zieht den Anhänger samt Schiff aus dem Wasser. Wenn die Götter des Olymp wohlgesonnen sind, steht die Yacht dann bald auf einer stabilen Holzkonstruktion zwischen den Olivenbäumen am Ufer. Vermutlich sogar sicher. Diese Beschreibung hört sich schlimmer an als es in Wahrheit sein dürfte. Wir können uns durchaus vorstellen, dass dies als Winterlager geeignet ist; auf jeden Fall ein brauchbarer Platz zu einem akzeptablen Preis.

Bevor wir anderntags zur Pilion-Rundfahrt aufbrechen, beobachten wir, wie ganz in unserer Nähe eine Sunsail-Yacht beim Versuch ankerauf zu gehen, eine schwere, rostige Muringkette vom Grund holt, unauflösbar um den Anker gewickelt. Mit professioneller Hilfe von der Sunsail-Basis kommen sie nach einer guten Weile frei. Hoffentlich kein Vorgeschmack darauf, was uns blüht, wenn wir hier in ein paar Tagen wieder loswollen. Zunächst jedoch sagt unser Wetterbericht für die kommenden Tage schwache Winde voraus und Friedrich will ein wachsames Auge auf Coco werfen. Also Startschuss für unsere Pilion-Expedition. Im Ort mieten wir einen kleinen knallorangefarbenen Wagen und machen uns auf den Weg.

Schon nach kurzer Fahrt erreichen wir Affisos. Dieser Ort ist der eigentliche Grund, weshalb wir überhaupt diesen Abstecher in den Golf unternommen haben. Denn hier verbrachte ich vor achtunddreißig Jahren schöne Ferienwochen mit einem Freund aus Kinderzeiten, mein erster Auslandsurlaub. So frage ich natürlich herum, ob jemand das Haus der Familie kennt, mit der ich als Achtjähriger hier war. Und tatsächlich, ich werde fündig! Die Textilverkäuferin, die ich frage, fragt einen alten Obstverkäufer, der wiederum fragt einen jungen Mann, der runzelt die Stirn - und erinnert sich. So finden wir zumindest den Hügel, auf dem früher das Haus gestanden haben muss. Leider ist das Grundstück verlassen, das Haus längst verkauft. Aber zumindest die bizarren Felsformationen am Strand glaube ich wiederzuerkennen.

Affisos
Bei Affisos

Befriedigt fahren wir weiter nach Volos. Eine gesichtslose Großstadt, eine wenig ansprechende Waterfront, alles in allem kein schöner Hafen. Zahlreiche Dauerlieger, aber nur zwei oder drei Transityachten liegen heute hier. Natürlich können wir nicht widerstehen und schauen uns die Schiffe der Gastlieger an. Dabei lernen wir die Crew der SY LA DOUCE kennen. Und wie es der Zufall so will, die kennen wiederum die Crew der SY HARMONY, die wir erst vor Kurzem in Skiathos kennengelernt haben, weil sie uns wiederum aus dem - übrigens sehr empfehlenswerten ;-) - Buch Sechstausend Meilen Mittelmeer kannten und ansprachen. Wie das so ist unter Seglern, unsere angeregte Unterhaltung zieht sich hin, Erlebnisse, Tipps und gemeinsame Bekannte werden besprochen - aber schließlich müssen wir uns loseisen, denn wir wollen heute noch weiter. Schade, nie hat man genug Zeit!

Volos
Blick auf Volos

Pilion Ski Center
Wir verlassen Volos und quälen unseren Kleinwagen die steilen Windungen des Pilion hinauf. Sattes Grün rundum, dazwischen schöne weiße Häuser, hier und da gar hochherrschaftlich anmutende Villen. Auf dem Rücken des Pilion entdecken wir ein veritables Skigebiet! Die jetzt im Sommer hellgrünen Schneisen der Pisten unterscheiden sich deutlich vom dunkelgrünen Baumbestand. Unterwegs kaufen wir noch einen Korb frischer Kirschen. Die Region ist bekannt für ihr wunderbares Obst, und die prallroten Kirschen schmecken tatsächlich gut wie selten.

Nachdem wir den Rücken des Pilion überquert haben, geht es auf der anderen Seite so steil hinab wie es zuvor hinauf ging. Schließlich unten am Rande der Ägäis angelangt, finden wir in Chorefto ein hübsches Hotel, das "Aeolos". Hier beziehen wir unser erstes festes Bett seit Wochen. Nach dem Abendessen sitzen wir noch eine ganze Weile am Pool bei Ouzo und Nüssen und genießen unseren "Urlaub".

HotelbarPool
Im Hotel in Chorefto

Pünktlich um 7 Uhr morgens wecken uns Bauarbeiten am Nachbargrundstück. Schön, so haben wir mehr vom Tag! Die Fahrt geht bald weiter durch nette, kleine Dörfer, die an Südfrankreich und Süditalien erinnern. Helle Häuser, oft mit dunklem Schiefer gedeckt, kleben wie hingeworfen an dichtgrünen Hängen. Mehr als einmal wünschen wir uns ein Motorrad; die Straßen sind ein Traum für Motorradfahrer, eng und kurvenreich. Aber auch schlaglochreich!

In den tiefen Falten des Pilion finden wir unten am Meer immer wieder abgelegene Buchten mit Stränden, die durchaus den euphorischen Zusatz "Traum-" verdienen. Ein Stück weit nehmen wir ein junges Anhalterpärchen mit, bis zum wunderschönen Strand von Mylopotamos. Angesichts des ständigen Auf und Ab der Topografie kann man hier doch wahrlich niemandem zumuten, zu Fuß weit zu wandern. Nachdem wir den herrlichen Ausblick auf den Strand ausreichend gewürdigt haben, fahren wir selbst aber weiter zum nächsten, Lambinou. Der kleine Kiesstrand lädt zum Ausruhen ein, das kristallklare Wasser ist erfrischend. Eine kleine Bar oberhalb des Strands bietet Snacks, und frisch gestärkt machen wir uns auf den Rest des Heimwegs. Nochmals nehmen wir ein Anhalterpärtchen mit - Kölner im Rentenalter, wie sich herausstellt - die hier in einem Haus von Freunden logieren. Als wir sie an ihrem Urlaubsdomizil absetzen, laden sie uns noch auf ein Glas ein, was wir gerne annehmen; eine kleine Pause kommt uns recht. Auf dem Grundstück retten wir zwei Meisen, die sich in eine dekorative Reuse aus Maschendraht verirrt haben. Da wir noch ein Stück Weg vor uns haben, verabschieden wir uns dann nach einer dreiviertel Stunde. In einem Minimarkt kaufen wir noch ein paar Lebensmittel ein. Abends sitzen wir wieder zusammen mit Friedrich, Gunnar, Steppke und dem Rest der Vathoudi-Clique in einer der Tavernen.

Badebucht am Pilion
Badebucht am Pilion



Übersicht 2006 | zurück | weiter