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Juli 2006 | Straße von Euböa

Die engste Stelle des Mittelmeers

Das derzeitige Szenario muss man sich vorstellen wie die bekannten verregneten, grauen Tage im Spätherbst in Nordeuropa: Gewitter, dunkle Wolken, Windböen, heftige Regenfälle. Nur dass sich das Ganze über grünem Wasser mit weißen Schaumkämen abspielt, von denen Coco hin und her geworfen wird. Die südländische Kulisse muss man sich ebenfalls vorstellen, denn sehen kann man durch den Dauerregen und die in Masthöhe durchziehenden Wolken kaum etwas vom nur wenige hundert Meter entfernt liegenden Städtchen Skiathos.

Lenzen
Lenzen nach Gewitterschauer

Seit einigen Tagen liegen wir vor Anker vor dem Hafen von Skiathos, und wettern ab. Die ganze Nacht blitzt und donnert es, stundenlang giesst es wie aus Kübeln. Noch am Morgen um 1030 ist es so finster, dass sogar unser Ankerlicht, das von einem Helligkeitssensor ein- und ausgeschaltet wird, noch leuchtet. Der Wind pendelt sich bei Stärke 5 bis 6 ein. Wir liegen sicher, der Anker hat sich in etwa 11 Metern Tiefe an 65 Metern Kette auf zähem Schlammgrund eingegraben. Sicher jedenfalls so lange, bis sich einer der beiden Sunsail-Katamarane - deren Crews in aller Eile ihre Schiffe zum gemütlichen Landgang verlassen hatten sowie der Anker Grundberührung hatte - losreisst und auf Drift geht. Ich entdecke das Dilemma auf meinem zehnminüten Rundblick, gerade als der eine Kat sich quer vor den anderen legt und beide zusammen auf unseren griechischen Vordermann zutreiben. Mit Pfeifen und unter ausgiebigem Gebrauch unseres Plastik-Signalhorns machen wir den bedrohten Skipper, der glücklicherweise an Bord ist, auf das nahende Ungemach aufmerksam. Auch wir sind gezwungen zu flüchten. Beide schaffen wir es in letzter Minute, ankerauf zu gehen und den Fängen des Katamaranensembles zu entrinnen. Mitten im Manöver, im unpassendsten Moment, würge ich beim zu schellen Umschalten von Vor auf Zurück den Motor ab, zum Ausgleich springt Herta die Kette von der Winsch und verklemmt sich zunächst unlösbar. Gut, wenn man da einen kräftigen Hammer griffbereit hat! So kommen wir mit Glück und einigem Geschick frei von den Unglücksraben. Ziemlich genau an unserer aufgegebenen Position finden die schleifenden Anker der Kats schliesslich neuen Halt. Bestens, die liegen nun sicher, mit aufgedoppeltem Ankergeschirr. Wir dagegen dürfen uns einen neuen Platz suchen. Gar nicht so einfach. Unmittelbar rechts von uns liegt die Einflugschneise, in der Befahren und natürlich auch Ankern streng verboten ist. Links ist der Hafenbereich, dort brauchen die Fähren Raum für ihre Manöver. Dazwischen liegen zahlreiche Schiffe fest vor Permanentbojen, was den Schwojkreis stark einschränkt. Weiter vorne wird der gute Schlammgrund von dubiosem Grasgrund abgelöst. Es kostet uns eine geschlagene Dreiviertelstunde und drei Manöver, bis wir endlich einen neuen, sicheren Platz gefunden haben. Wenigstens der Regen hat für eine Weile aufgehört, Glück im Unglück. Im Halbfinale gegen Italien fliegt Deutschland durch zwei Tore in den letzten Minuten der Verlängerung raus. Ein Tag der unangenehmen Überraschungen geht zu Ende.

Nachdem unsere Entscheidung fest steht, Coco nach Preveza ins Ionische Meer zu bringen, planen wir die weitere Route. Der Weg durch den Golf von Euböa sieht auf den ersten Blick gemütlicher und sicherer aus als die Passage "außen herum", entlang der schroffen Nordostküste. Doch wir werden gewarnt vor den mächtigen Fallböen, die aus den über tausend Meter hohen Bergen herunterjagen und bisweilen für erhebliche Probleme sorgen können. Unsere Freunde von der Anahita können ein Lied davon singen, denn sie liegen schon seit Tagen im Südwesten Euböas fest und kommen nicht gegenan. Dennoch birgt diese Route einiges Neue für uns, und deshalb wählen wir sie. Da wäre zum einen die bei Seglern berühmt-berüchtigte, mit nur vierzig Metern engste Stelle des Mittelmeers (andere Quellen behaupten, weltweit), die von der Brücke zwischen Festland und der Stadt Chalkis überspannt wird. Berüchtigt deshalb, weil sich hier an dieser Engstelle einerseits eine starke Strömung aufbaut, die mehrmals täglich ziemlich unberechenbar die Richtung ändert, und weil die Durchfahrt zweitens ausschließlich spät nachts geschehen kann; tagsüber bleibt die Brücke wegen des hohen Verkehrsaufkommens geschlossen. Cocos Skipper ist von derartigen Herausforderungen angetan.

Nachdem uns die Gewitterstürme lange genug in Skiathos festgehalten haben, brechen wir also am Vormittag des 5. Juli auf. Der Wind bläst noch immer kräftig, aber wir haben ihn im Rücken, was kein Nachteil für unsere Passage in die Straße von Trikeri ist. Es wird einer der schönsten Segeltage seit Langem. Nach fünf herrlichen Stunden Rauschefahrt machen wir an der Nordseite Euböas in dem kleinen Hafen von Orei fest. Der Ort ist hübsch, zahlreiche Tavernen ziehen sich entlang der Strandpromenade durch den Ort. Gleich die erste Taverne, "die mit den gelben Tischdecken ...", wurde uns von unseren Freunden von der SY Harmony ausdrücklich ans Herz gelegt, und so wählen wir diese für unsere Abendmahlzeit aus. Wir werden nicht enttäuscht. Gegrillte Sardinenfilets in Öl und Zitrone, Oktopus in Essig eingelegt, leckeres frisches Weißbrot, mmmh.

Orei
Orei
Orei

Mit sechs Beaufort Rückenwind sausen wir am nächsten Morgen weiter in den Stenon Oreio hinein. Die für einen Zwischenstopp durchaus empfehlenswerte Bucht Ormos Echinou am Festland (38° 53,0N, 022° 42,6E) lassen wir links, pardon rechts, liegen, denn wir wollen ja heute noch ein wenig weiterkommen. Die relative Windrichtung ändert sich natürlich signifikant, als wir die Kehrtwendung um die Likhades Inseln machen. Erst ist der Wind fast völlig weg, so dass wir alle Segel dicht holen, um überhaupt noch von der Stelle zu kommen. Dann plötzlich zischt von schräg vorne eine Bö heran, dass sich Coco unvermittelt kräftig zur Seite neigt und nahezu in den Wind schießt. Die nächsten dieser unangenehmen Überraschungen treffen uns zwar nicht mehr unvorbereitet, doch an schönes Segeln ist nicht mehr zu denken. Unsere Absicht, heute noch nach Limni zu segeln, geben wir unter diesen Umständen auf. Doch guter Rat ist teuer. Wohin zur Nacht? Unser Handbuch nennt in der Nähe eine kurze Pier bei Agios Yeoryos (38°50,3N, 022°53,0E). "Useful in settled conditions". Nun ja, vielleicht beruhigen sich die Umstände ja noch; wir werden es uns jedenfalls mal ansehen. Die ins Wasser ragende Betonpier ist mit fünf großen Fischerkaikis voll belegt. Die Waterfront ist zwar betoniert und bietet hier und da theoretisch Möglichkeiten zum Anlegen, ist jedoch von lokalen Kleinstfahrzeugen und zahlreichen wild verstreuten Muringtonnen blockiert. Wir müssen ein wenig genauer hinsehen, um zwischen all den auf Reede liegenden Fischerbooten zwei offenbar neue, und offenbar kräftige, freie, gelbe Muringtonnen mit je zwei dicken Schwimmleinen auszumachen. Hoch erfreut schnappen wir uns eine davon. Kurz testen wir mit Vollgas rückwärts die Haltekraft und sind zufrieden; unser Liegeplatz für die Nacht scheint gesichert. Es hat natürlich Schwell an diesem ungeschützten Platz, doch der Wind hält Coco ordentlich mit der Nase im Schwell, so dass die Nacht erträglich werden dürfte. Alternativen haben wir ohnehin keine. Wir machen das Beiboot klar und gehen an Land. Die dunkelhäutigen Besatzungen der Fischerboote an der Betonpier sind sicher keine Griechen. Dort fragen wir herum, was es mit den Bojen auf sich hat, keiner versteht was wir wollen, aber jeder nickt, also alles ok, wir bleiben. Wegen ihrer Anordnung tippen wir darauf, dass ein größeres Fahrzeug zwischen den beiden Bojen verspannt wird. Sollte dieses Schiff ankommen, dann hätte man wohl Pech und müsste sich einen anderen Platz suchen.

Ormos Georgiou
Ormos Georgiou

Über Nacht beruhigt sich der Wind. Am folgenden Morgen gelingt mir das bemerkenswerte Kunststück, bei absoluter Ruhe und völliger Windstille meinen Frühstückskaffee weiträumig über den Navigationstisch zu verteilen. In Sekundenbruchteilen läuft die dunkle Brühe durch alle Ritzen, über die Seekarten, übers aufgeschlagene Hafenhandbuch, unter den Drucker. Schweinerei. Andererseits, so kommt der Naviplatz endlich mal wieder in den Genuß einer wirklich pingeligen Reinigung, das hätte er ohnehin schon viel früher verdient.

Der heutige Schlag soll uns nun also zu dem kleinen Hafen von Limni an der Westseite Euböas bringen, von dem wir schon viel Nettes gehört haben. Sogar die dortigen Fischer sollen im Segelclub sein; wenn das keine Empfehlung ist. Doch wieder einmal kommt es anders. Der aufkommende, sehr günstige Wind will genutzt werden, und so lassen wir das so warm empfohlene Limni mit leichtem Bedauern links liegen und steuern direkt auf den Liegeplatz vor der Brücke von Chalkis zu.

Nun muss man wissen, dass die Brücke nur nachts geöffnet wird, nur nach Voranmeldung und dann auch nur, wenn mindestens zwei Schiffe in einer Richtung queren wollen. Hinzu kommt, dass die Liegemöglichkeiten zum Überbrücken der Wartezeit für von Norden kommende Schiffe räumlich recht begrenzt sind; die Strömung in Fahrwassermitte und nahe der Engstelle hat hier eine Stärke von maximal sechs Knoten (das ist praktisch unsere Höchstgeschwindigkeit, bedeutet also, hätten wir die Strömung gegen uns, würden wir mit Vollgas auf der Stelle fahren). Last not least herrscht hier der größte Tidenhub der Region mit im Extremfall einem Meter, was dazu führen kann, dass man von seinem relativ seichten Liegeplatz an der Kaimauer nicht mehr fort kommt, wenn die Brücke schließlich öffnet. Nicht wenige Bedingungen also, die die Sache spannend machen.

Chalkis
Chalkis - die engste Meerenge im Mittelmeer

Wir finden jedenfalls einen brauchbaren Platz an der Kaimauer und machen fest. Der erste Weg führt zur Port Authority, die für die Brückenbedienung zuständig ist. Aaah, da war ja noch eine weitere Bedingung, von der wir auch schon mal gehört haben: Es gibt genau einen Tag im Monat, an dem die Brücke nicht öffnet, nämlich jeden ersten Freitag im Monat. Und genau diesen Tag haben wir heute! Bravo, Volltreffer!! Es heisst also Geduld üben und ein Tagesprogramm für morgen finden.

Später geht noch die französische SY NAMASTE an der Pier hinter uns längsseits. Wir nehmen die Leinen an, kurzer Plausch mit den Neuankömmlingen, dann machen wir uns auf zum Stadtbummel. Als wir Stunden später, nach einem kaum mehr als mittelmässigen Abendessen in einer der beiden Tavernen an der Waterfront, zum Schiff zurück kommen, steht ein fremder Mensch an Bord von Coco! Wir sofort drauf los, aber er entpuppt sich als unser Nachbar und versichert uns freundlicher Absichten. Er wollte eben einen Zettel anheften und uns fragen, ob wir, da wir doch ohnehin in Chalkis festsitzen, nicht Lust hätten auf einen gemeinsamen Ausflug per Mietwagen am nächsten Tag. Kurz darauf ist eine Flasche guten griechischen Weißweins an Bord von Coco geleert und die Verabredung für den nächsten Tag steht.

Kokoretzi
Die Crews beim Lunch
Kokoretzi-Menü

Nach einem fröhlichen Ausflug mit unseren neuen Freunden zu den Ausgrabungen des antiken Eretria und einem Lunchstop mit schwerem Kokoretzi-Menü in der grünen Bergwelt Euböas sind wir abends wieder zurück an Bord. Heute Nacht soll die Brücke öffnen. Ein wenig Aufregung verspüren wir durchaus - so eine Brückendurchfahrt ist schließlich ein seltenes Ereignis, und bei nächtlicher Dunkelheit doppelt spannend. Wir bleiben an Bord und warten auf UKW-Funk Kanal 12 auf die offizielle Freigabe der Durchfahrt, die irgendwann zwischen 2200 und 0400 erfolgen wird. Einen genaueren Zeitpunkt kann man vorab nicht nennen, denn bis zum heutigen Tage ist es nicht möglich, den genauen Zeitpunkt zu berechnen, an dem die Strömung kippt und die Passage für Wasserfahrzeuge am ungefährlichsten sein wird. Selbst der kluge Aristoteles konnte die Berechnung nicht schaffen, und die Legende erzählt, er habe sich aus Frustration über seine Unfähigkeit, das Rätsel zu lösen, hier in die Fluten gestürzt. (Was freilich nicht stimmt, Aristoteles starb eines ganz natürlichen Todes.) Eine Brücke wurde an dieser Stelle übrigens erstmals schon 411 v. Chr. errichtet.

Um kurz nach zwei Uhr morgens dann endlich die ersehnte Aufforderung. Per UKW-Funk werden die wartenden Schiffe - Dampfer, Frachter, Schlepper, Motor- und Segelyachten - einzeln angerufen; für uns heißt es: "Sailing vessel Coco de Mer, prepare for crossing!". Wir bestätigen "Sailing vessel Coco de Mer standing by!", machen die Leinen und Fender klar zum Ablegen.

Es dauert dann doch noch lange, bis sich endlich die Brücke in der Mitte teilt, die beiden Elemente zur Seite gleiten und unterirdisch verschwinden. Die Signalleuchten zeigen an, dass zuerst die aus Süd kommenden Schiffe die Passage machen dürfen, für uns heisst es also weiter warten. Nach einiger Zeit legen wir zusammen mit den drei anderen, mittlerweile wartenden Schiffen von der Kaimauer ab und drehen enge Kreise auf Warteposition, bis schließlich der letzte Kollege aus Süd ins nördliche Becken eingelaufen ist. Erst weit nach drei Uhr wechseln die Signalleuchten von Rot-Weiß-Rot auf Grün-Weiß-Grün. Das ist das Zeichen für uns! Die versprochene Funkmeldung bleibt aus, aber die Kollegen starten. Jetzt heißt es Gas geben und durch. Nicht zu langsam, damit die Strömung das Schiff nicht vom Kurs abbringt, aber auch nicht zu schnell, damit man frei bleibt von den Seitenwänden der schmalen Durchfahrt. Oberhalb der Durchfahrt steht trotz vorgerückter Stunde eine kleine Menschenmenge, um das Schauspiel zu bewundern. Nach wenigen Minuten ist das Spektakel vorüber und Coco gleitet leise in die südliche Ankerbucht, wo wir den Anker in den tiefschwarzen Grund auf 10 Metern eingraben und dann todmüde, aber zufrieden, in die Kojen kriechen.

Coco unter Segeln
Coco unter Segeln

Nach der geglückten Durchquerung der Brücke von Khalkis ankern wir zusammen mit unseren franko-englischen Segelfreunden von der SY NAMASTE in einer Bucht im Westen des kleinen, unbewohnten Inselches Styra, unmittelbar hinter dem Felsen N. Ag. Andreas (38°10,47N, 024°09,2E). "Strong Gale" ist vorhergesagt, Windstärke 8 aus Nordost.

Nach einem windreichen, aber sehr netten Abendessen an Bord der NAMASTE mit gebratenen Sardinen, Linsenmus und griechischem Salat fegen in der folgenden Nacht Sturmböen über unseren Ankerplatz hinweg, dass uns Hören und Sehen vergeht. Die ganze Nacht bekommt Coco heftige Knuffe in die Flanken, dass Mast und Schiff erzittern, legt sich zur Seite und versucht den hereinkrachenden Böen auszuweichen. Kein Gedanke an Schlaf. Nachts geben wir Kette soviel wir können angesichts der scharfen Felsen rundum und des Schwojkreises, den unser Schiff unter diesen Bedingungen braucht. Bis zum Morgen legt der Wind immer weiter zu, und es ist klar, dass wir hier nicht länger bleiben können. Wir rollen ein Stück Genua von Waschlappengröße am Vorstag aus und stürzen uns hinaus in die weißblau tosende Pracht. Mit höchstens zwei Quadratmetern Segelfläche kommt Coco sofort auf Rumpfgeschwindigkeit, Maximalspeed. Eigentlich sollte der Wind abnehmen, je weiter wir uns von Euböa in Richtung Festland bewegen. Doch allen Theorien zum Trotz wird er stärker und stärker. Auch die Wellen, die nach unserer Einschätzung hier im südlichen Golf von Euböa doch eigentlich so hoch nicht werden dürften, wachsen zu beeindruckender Höhe.

Während der folgenden Stunden kommen wir uns bei Stärke 8, mitunter 9, und turmhohen Wellen vor wie auf einer Mischung aus nasser Achterbahn und erschreckender Geisterbahn. Unter ihrer Minimalstbesegelung schiesst Coco über die schäumenden Kämme der brechenden Wellen hinauf, wieder hinunter in die dunklen Wellentäler und wieder hinauf. Wir kämpfen hart um einen ausgeglichenen Adrenalinhaushalt. Unser treues Schiff surft und hat dabei sichtlich mehr Vergnügen als die Besatzung, die mittlerweile mit Lifevests und mit eingepickten Sicherungsleinen im Cockpit sitzt und dabei gewiss etwas blass um die Nase ist. Wir fühlen uns sehr klein und unbedeutend angesichts der Naturgewalt, und erinnern uns an die Erkenntnis, dass der schwache Punkt beim Segeln im Allgemeinen nicht das Schiff, sondern die Besatzung ist. Der Gedanke gibt Zuversicht.

Unsere Freunde mit ihrer Namaste segeln in einigem Abstand voraus, durch's Fernglas sehen wir, dass es ihnen trotz des deutlich größeren Schiffes auch nicht viel besser ergeht. Es gibt doch Kraft, wenn man unter diesen Bedingungen nicht allein unterwegs ist.

Den Gedanken, noch zu den reizvollen Petaloi-Inseln im Golf von Euböa zu segeln, müssen wir begraben. Die stürmischen Bedingungen sollen die nächsten Tage so bleiben, damit ist dort nichts zu wollen. Also legen wir uns auf die Olympic Marina am Festland, nördlich des Kap Sounion, als Ziel fest. Mal wieder ausspannen, mit Stegnachbarn klönen, bummeln. Die erste Marina für uns seit Turgutreis vor rund 60 Tagen; wir freuen uns darauf.

Auf dem Weg dorthin müssen wir allerdings noch in die Enge zwischen der vorgelagerten Insel Makronisi und dem Festland einsteuern. Hier wird es nun richtig ekelhaft. Die ohnehin schon beeindruckenden Wellenberge türmen sich in der Enge und über dem flacher werdenden Grund zu Höhen auf, wie wir sie bisher noch nicht erlebt haben. Coco wird heftig gebeutelt und hin und her geworfen, aber der Autopilot, dem wir die Steuerung anvertraut haben, hält unbeeindruckt Kurs.

SturmrittSY Namaste
Sturmritt

Nach sechs Stunden ist der Höllenritt endlich vorbei. Wir steuern ein in die Einfahrt zur Olympic Marina. Die größere Namaste war natürlich vor uns hier und unsere Leidensgenossen haben bereits ohne viel Aufhebens einen Liegeplatz ergattert. Wir, als ordentliche Deutsche, melden uns natürlich per UKW-Funk an. Die Olympic Marina wird ihrem Ruf gerecht. Auf Anhieb erweist sie sich als unfreundlich und zudem äußerst unsportlich: "Sorry, no berth for you!" Unglaublich, wollen die uns tatsächlich wieder in den Hexenkessel rausjagen? Na drauf gepfiffen, bei dem Wetter berufen wir uns auf höhere Gewalt und gehen trotzdem rein. Christian hat an seinem Steg noch mehrere freie Plätze ausgemacht; er übertönt einfach den aufgeregt gestikulierenden Marinero und ruft uns zu, wohin wir gehen können. Und genau das tun wir. Minuten später liegt Coco fest und sicher vertäut. Die Anspannung fällt von uns ab. Jetzt sollen sie versuchen, uns wieder rauszuschicken. Aber keinen Menschen kümmert's mehr; klar, wir sind in Griechenland. Wenn man Tatsachen schafft, dann werden sie auch akzeptiert.

Die Olympic Marina können wir nicht empfehlen. Nicht nur die Marinapersonal ist unfreundlich, auch in den wenigen Geschäften hier ist man offenbar über Kundschaft wenig erfreut. Tavernen gibt es keine, der nächste Ort Lavrion ist drei Kilometer entfernt. Also wirklich nur als Notstopp brauchbar, obwohl die Marina selbst sehr komfortabel ist. Sie ist aber offenbar auch nicht auf Durchreisende eingestellt, es liegen praktisch nur Festbucher hier. Diese sind übrigens im Gegensatz zum Marina-Personal überwiegend sehr freundlich, wie es unter Seglern halt meist so ist.



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