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Juli 2006 | Ionische See

Ratte an Bord!

Vorbei am Miniaturhafen von Nafpaktos - leider schaffen wir es einfach nicht, jeden interessanten Ort zu besuchen - und mit einem Übernachtungs-Stopp in der trüben Lagune von Mesolonghi (Achtung: der Grund dort hält wie Klebstoff! Beim Aufholen des Ankers flog sogar unsere Winschsicherung raus!) verlassen wir die Golfe von Korinth und Patras und segeln nach drei Jahren wieder auf den Wassern des Ionischen Meeres.

Vathi
Vathy auf Ithaka

Zuerst laufen wir Ithaka an, die berühmte Heimatinsel des Odysseus. Südöstlich der tiefen Hauptbucht von Vathi liegt die Ankerbucht Ormos Filiatro mit herrlichem Kiesstrand. Hier ist deutlich mehr Rummel als auf der ägäischen Seite, die uns oft mit Einsamkeit und Ruhe verwöhnt hat. Segelboote und Motorboote aller Größen kommen und gehen, der Schwell kommt hier nicht vom Wind, sondern vom Verkehr. Gegen Abend verlegen wir uns dann zu einem sicheren Ankerplatz vor dem Ort Vathy. SY Atsali, deren Crew wir in Korinth kennen gelernt hatten, liegt auch schon hier, und bald sitzen Dini und Gerd zum Sundowner in Cocos Cockpit. Kurz nach Sonnenuntergang begeben wir uns dann zum Abendessen an Land. "Kantonya" oder so ähnlich heißt das Lokal, in dem wir hervorragende Ziege in Backpapier, "goat in paper", schmausen. Wir hatten schon ganz vergessen, wie lecker die griechische Küche hier im Ionischen Meer sein kann.

Tolle Neuigkeiten aus Nürnberg: Wir telefonieren mit unserem Freund Alfred; er hat seine hervorragende und lukrative Position bei einer Weltfirma aufgegeben und den Sprung in's kalte Wasser der Selbständigkeit gewagt. Zusammen mit zwei hoch begabten Ingenieuren entwickelt das von den dreien gegründete Unternehmen Komponenten für die Sportschiffahrt. Vor allem mit dem Produkt "easyAIS" machen sie zurzeit am Markt Furore. Mittlerweile rüsten sie als Zulieferer praktisch alle namhaften Hersteller von Navigationssystemen aus. Wir wünschen ihm und seinen Partnern alles Glück, das man nur wünschen kann. Die Coco Crew weiß aus eigener Erfahrung, wie steinig, aber auch erfüllend, das Los der Selbständigkeit ist.

Brot
Am Uferweg gleich neben der Alphabank gibt es eine Bäckerei, in der ich das beste Brot und Gebäck aller Zeiten zum Frühstück erstehe. Dann gehen wir in einer der Nebenbuchten baden. Besser gesagt, Herta geht baden. Währenddessen drehe ich mit Coco kleine Kreise. Ankern geht nicht, denn die brauchbaren Einschnitte sind alle belegt und überall sonst nervt massiver Schwell. Also machen wir uns bald auf, mit Kurs Phrikes, dem idyllischen kleinen Hafen im Nordosten Ithakas. Leider ist aber auch hier die vor dem Hafen liegende Ankerbucht voll belegt, die geschützte Innenseite der Mole im Hafen selbst von einer Flottille besetzt und auf die Kaimauer an der gegenüberliegenden Seite steht direkt der Schwell. Die seltsamen "Wellenbrecher-Pontoons" sind in dem Schwell in heftiger Bewegung, hier kann keine Yacht halbwegs sicher anlegen.

Wir geben wieder etwas gewonnene Höhe her und laufen das nicht weit südlich gelegene Kioni an. Mit viel Glück quetschen wir uns noch in die letzte Lücke an der Tavernenpier. Schön ist es hier und entsprechend überfüllt. (Von der Mole bis dorthin, wo die Tavernenzeile beginnt, kann man problemlos rückwärts anlegen, danach auf Steine am Grund aufpassen!). Abendessen gibt's heute nochmal auswärts, in der Taverne zwanzig Schritte von Coco entfernt namens "Kalypso": Lamb Kleftiko, ein Gedicht!

Am nächsten Morgen bunkern wir Wasser zu astronomischen Preisen (7 Euro für ca. 200 Liter). Herta fährt ein Bilderbuch-Ablegemanöver; wir freuen uns, dass wir wieder einmal doppelt so viel Kette draußen haben wie alle anderen, das macht die Sache einfach. Wir runden Ithaka im Norden und nach nur neun Seemeilen ankern wir mittags vor Fiskardo auf der Nachbarinsel Keffalonia. Mit Landleinen machen wir am Felsen fest, mit schönem Blick auf den hübschen Hafenort, und viel luftiger und angenehmer als direkt an der Pier. Wir lesen, schauen, faulenzen und freuen uns, noch hier her gekommen zu sein. Dann bemerken wir, dass unser Anker rutscht. Also los, alles neu. Zwei Mal ankern wir neu, jedes Mal stecken wir fast die gesamten 70 Meter Kette und holen davon 20 bis 30 locker wieder herein. Ein Test mit dem Zweitanker bringt auch kein wirklich befriedigendes Ergebnis. Schlechter Grund. In Anbetracht der günstigen Wettervorhersage entscheiden wir, trotzdem zu bleiben.

Fiskardo
Fiskardo, Keffalonia

Der Lauf des späteren Nachmittags ruft uns wieder in Erinnerung, dass es mitunter eng zugeht im Ionischen Meer. Gegen Abend liegen wir vor Anker und Landleinen fast so eng beieinander wie im Hafen. Die meisten unserer Nachbarn haben höchstens 20 Meter Kette draußen, und von Anker in den Grund ziehen wohl auch noch nie was gehört. Im Ionischen Meer gehen die größeren Gefahren nicht von Wind und Wetter aus, sondern von uns Seglern.

Wieder speisen wir vorzüglich, heute Lobsterspaghetti und gefüllten Kalmar. Erstklassig.

Ambelaki Bay
Ormos Ambelaki, Meganisi

Auf der östlich Lefkas gelegenen, mit zahlreichen Buchten ausgestatteten und deshalb bei Seglern sehr beliebten Insel Meganisi suchen wir uns ein besonders schönes Plätzchen, denn wir wollen hier die letzten Tage des Törns in Ruhe genießen. In der nordwestlichen Einbuchtung der Ambelaki Bucht ("Abelike Bay") finden wir, was wir suchen (38°40,33N, 020°47,37E). Die Ankertiefen sind groß. Alle Schiffe sind mit Leinen an Bäumen oder Felsen festgemacht. Nachdem unser Anker im zweiten Anlauf auf 16 Metern Tiefe gut eingegraben ist, wir die zwei Landleinen ausgebracht haben und zufrieden mit unserer Liegeplatzwahl sind, mustern wir unsere Nachbarn genauer. Halb beunruhigt, halb belustigt, stellen wir fest, dass fast alle Schiffe runde Scheiben, Plastikflaschen oder andere Gegenstände an ihren Landleinen in ein bis zwei Metern Entfernung vom Schiffsrumpf angebracht haben. Rattenabweiser? Wir erinnern uns dunkel, auch in unserem Revierführer etwas über Ratten auf Meganisi gelesen zu haben, doch das Buch (Rod Heikell: Greek Waters Pilot) ist nun schon sechs Jahre alt, die Informationen darin sicherlich noch älter, und in unserer heutigen, zivilisierten Zeit dürfte das doch eher in den Bereich der Fabeln gehören. Halbherzig schneide ich dennoch eine Plastikflasche auf und schiebe sie über die Leine, doch gegen Abend ist sie auf Wasserhöhe abgerutscht und ich mache mir nicht die Mühe, daran etwas zu ändern.

Ratte
In der dritten Nacht um halb vier Uhr morgens dann höre ich es: Trippeln, Rascheln, Kratzgeräusche. Ich fahre hoch und denke: "Ratten!? Kann nicht sein!" Doch das verdächtige Rascheln hält an. Also raus aus der Koje, Lichter an, blitzschneller Check. Am Niedergang, auf der Treppe direkt vor dem Obstkorb, blicken sich der Skipper und ein drolliges Pelztier tief in die Augen. Schwer zu sagen, wer mehr erschreckt ist. In der Zwischenzeit hat auch Herta bemerkt, dass irgendwas los ist an Bord. Meine Antwort auf ihre Frage hält sie zunächst für einen schlechten Scherz, merkt aber bald an meiner - zu solch früher Stunde sehr ungewöhnlichen - Aktivität, dass es sich hier um den Ernstfall handelt. Anhand einiger kleiner, schwarzer Hinterlassenschaften kann ich den Wahrheitsgehalt meiner Behauptung auch schnell belegen. Verfluchte Sorglosigkeit!

Die Jagd beginnt. Der Anblick der übernächtigten, mit Handschuhen, Käscher und Töpfen bewaffneten Coco-Crew, auf der Pirsch nach dem listigen kleinen Nager, dürfte unbezahlbar sein. Gut dass uns keiner sieht. Das Tier flüchtet nach draußen, nur um gleich wieder durch irgendein Luk hereinzukommen. Sorgsam suchen wir Raum für Raum intensiv ab, beleuchten jedes mögliche Versteck. Schließlich haben wir den Feind wieder im Lichtkegel der Taschenlampe, ausgerechnet in der Eignerkabine. Er zieht erneut die Flucht nach draußen ins schützende Dunkel vor. Sofort verschließen wir alle Luken, verrammeln den Niedergang, und so scheint es uns zu gelingen, das Tierchen draußen zu halten. Eine gründliche Durchsuchung des Außenbereichs, einschließlich hohlem Großbaum und Lufthutzen, bleibt ohne Erfolg. Der ungebetene Gast scheint tatsächlich von Bord zu sein.

Doch wie ist er überhaupt hereingekommen? Die Landleinen sind zwanzig bis dreißig Meter lang. Man kann sich zwar kaum vorstellen, dass ein Tier diese Distanz - gewissermaßen frei tanzend auf dem Seil - überwinden kann; es soll aber möglich sein. Da fällt der Blick auf die Badeleiter. Sie hängt, wie praktisch immer an unseren Ankerplätzen, ins Wasser, und die dazu gehörende, geflochtene Leine ebenfalls. Heranzuschwimmen und das kurze Seilstück heraufzuklettern, das dürfte einer Ratte mit ihren scharfen Krallen nicht schwer fallen. Ab sofort wird die Leiter abends an Deck geholt.

Rattenabweiser
Als weitere unmittelbare Sofortmassnahme basteln wir aus unserem Ankerball funktionierende Rattenabweiser. Für die Nichtsegler unter den Lesern: Ein Ankerball ist ein runder schwarzer "Ball", der kein Ball ist, sondern aus zwei Scheiben besteht, die von weitem wie ein Ball aussehen, wenn sie rechtwinklig ineinander gesteckt und dann am Vorschiff aufgehängt werden. Schulbuchmässig sollte man den Ankerball tagsüber am Ankerplatz setzen; in der Realität erlebt man es selten, außer bei der kommerziellen Schifffahrt. Dennoch hat praktisch jede Yacht einen solchen Ankerball als Grundausrüstung an Bord; kaum ein Skipper weiß aber, wohin er ihn verlegt hat. Wir kramen ihn aus den tiefsten Tiefen der Backskisten, schneiden passende Löcher hinein und befestigen je eine Scheibe an den beiden Landleinen. So, damit müssten die freien Zugänge fürs erste geschlossen sein!

Lange liegen wir noch wach, lauschen auf jedes ungewöhnliche Geräusch, bis uns endlich der Schlaf übermannt. Am nächsten Morgen finden wir glücklicherweise keinerlei weitere Hinterlassenschaften an Bord, wir scheinen Glück zu haben und hoffen, dass sich das Tierchen einen anderen Tummelplatz gesucht hat.

Unsere Segelfreunde von der SY ATSALI hatten uns kurz zuvor erst von ihren einschlägigen Erfahrungen berichtet. In einer holländischen Zeitschrift ist ihr Artikel über die Verwüstungen erschienen, die zwei aufdringliche Nager im Winterlager an ihrem Schiff verursacht hatten. Sie hatten ihr Schiff an Land eingewintert, und unmittelbar vor ihrer Abreise müssen die Nagetiere an Bord gekommen sein, ohne dass sie es bemerkt hatten. Als sie im folgenden Jahr zurückkamen, bot sich ihnen ein Bild der Verwüstung! Drei Monate Arbeit und eine hohe Schadenssumme waren das Ergebnis. So sind wir sehr vorsichtig und beobachten in den nächsten Tagen das Interieur unseres Schiffes sehr genau. Als auch drei Tage später nichts zu sehen oder sonst wie zu bemerken ist, wagen wir es, erleichert aufzuatmen.

Die letzten Tage müssen wir in einer Marina verbringen, um Coco landfein zu machen. Durch ihre Lage direkt auf unserem Weg drängt sich die Lefkas Marina förmlich dafür auf. Meine telefonische Bitte um Reservierung wird abschlägig beschieden; telefonisch könnte man keinen Platz reservieren, nur per Email oder Fax. Also setze ich mich an den Läptopp und schicke eine freundliche Reservierung per Email. Tags darauf kommen wir an in Lefkas, der Marinero kommuniziert intensiv per Walkietalkie, blickt uns verunsichert an - leider, eine Reservierung für uns läge nicht vor. Wir verlangen trotzdem festzumachen. Im Büro heisst es dann, man habe zwar unsere Email erhalten, doch nicht geantwortet, was ja wohl klar eine Absage bedeute ... Mir fehlen die Worte. Nach geduldiger Verhandlung wird uns dann eine Gnadenfrist von einer Nacht zugestanden; anderntags dürfen wir erneut vorsprechen. Das tun wir, und wir haben Glück. Ein Platz sei frei, wir dürfen bleiben. Am Abend kommen wir aus dem Staunen nicht heraus: wir zählen insgesamt etwa vierzig freie Plätze! Das soll verstehen wer will.

Abgesehen von unseren guten Erfahrungen in Kos sind wir von den griechischen Marinas nicht übermässig begeistert. Was Freundlichkeit, Entgegenkommen, Kundenservice und auch Preiswürdigkeit betrifft, so können praktisch alle uns bekannten griechischen Marinas viel von ihrer türkischen Konkurrenz lernen. Für uns ist das nicht weiter wichtig, denn abgesehen von einigen wenigen Tagen verbringen wir kaum Zeit in Marinas, hier nicht und dort auch nicht. Andererseits sind in den öffentlichen griechischen Häfen wiederum die Liegegebühren derart günstig, dass dieser Vorteil den Nachteil der fehlenden Marina-Infrastruktur und -"Kultur" in unseren Augen mehr als aufwiegt.

Ganz am Rande ziehen wir ein angenehmes, kleines Griechenland-Fazit: Unsere Hafengebühren nach 75 Tagen belaufen sich auf 4,70 Euro. Vier Euro siebzig. Auch ein Grund, weshalb Griechenland ein Paradies für Segler ist. Sofern man Marinas meidet.

Putzen
Die folgenden Tage vergehen, wie die letzten Tage eines langen Törns immer vergehen: mit Strafarbeiten. Deck und Interior putzen, Bilge gründlich trocknen, Edelstahl polieren, diverse Services an den Aggregaten. Punkt für Punkt arbeiten wir unsere bewährte Checkliste ab. Es ist heiß, kaum Wind, wir erleben, dass es tatsächlich möglich ist, gleichzeitig zu duschen und zu schwitzen!

In der Preveza Marina Ionio, nördlich von Lefkas gelegen, haben wir einen preisgünstigen Jahresvertrag für Coco abgeschlossen. Dorthin führt unser vorläufig letzter Schlag. Bei strahlendem Sonnenschein legen wir in Lefkas ab. In den drei Tagen Liegezeit ist die Logge schon wieder festgewachsen - ein Phänomen, das wir im Ionischen Meer bemerkenswerterweise viel häufiger antreffen als in der Ägäis. Wir motoren durch den Lefkas Kanal, und kurz vor der Zufahrt zum Kanal von Preveza - kein Wellchen trübt die glatte See - gönnen wir uns eine Erfrischung und springen auf hoher See hinein ins kühle Nass. Die Erfrischung hält nicht lange an, das Bordthermometer zeigt 32 Grad. Wenig später ist Coco längsseits am Kranbecken unseres Boatyards festgemacht. Morgen geht's hinaus auf's Trockene.

Um 9 Uhr morgens hängt Coco im Travellift, eine Stunde später steht sie auf ihrem Landstellplatz. Die gesamte Prozedur - Herausheben, Unterwasserschiff reinigen, zum Stellplatz verbringen und Aufbocken - verläuft reibungslos und sehr professionell. Für uns ist nur noch wenig zu tun, fast alles haben wir in Lefkas erledigt.

Preveza
Coco im Travellift
Hard Standing


Per Mobiltelefon will ich den für morgen gebuchten Rückflug bestätigen und erfahre so zufällig, dass sich unser Zubringerflug von Preveza nach Athen um zwei Stunden verschieben wird. Das ist sehr ärgerlich, denn damit verpassen wir unseren Anschlussflug nach Deutschland! Es bleibt uns nichts anderes übrig als auf Bus umzubuchen, was glücklicherweise mit Unterstützung des freundlichen Personals unseres Boatyards noch möglich ist. So sehen wir am Tag unserer Heimreise noch viel von dem Land, das uns während der letzten Monate sehr ans Herz gewachsen ist.



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