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Sardinien / Juli 2001

Freundliche Fischer und herrliche Inseln

Mittwoch, 18. Juli. Der vorhergesagte Sturm hat uns verschont. Castelsardo liegt im Kielwasser. Seit einer Stunde sind wir wieder unterwegs, da meldet der UKW-Funk: "Sturmwarnung für Strasse von Bonifacio"! Ist ja prima, genau dorthin wollen wir. Weder auf der Karte noch im Handbuch ist eine sichere Bucht oder gar ein Hafen an diesem Küstenabschnitt verzeichnet. Zurück nach Castelsardo? Ausgeschlossen, da waren wir nun lange genug. Wir studieren den Bildband mit Luftaufnahmen der nordsardischen Küsten. Und siehe da: deutlich erkennen wir eine Marina ganz in der nähe unseres momentanen Standortes. Ein Blick ins Internet enthüllt: "Marina Isola Rossa", noch im Bau und nicht eröffnet, aber "utilizzabile come refugio". Na das schau'n wir uns mal an!


Spannende Wolkenformationen


Vor der Einfahrt nach Marina Isola Rossa

In der Einfahrt ein großes Schild "vietato l'accesso!". Glücklicherweise verstehen wir Italienisch nicht so gut. Also liegen wir am frühen Nachmittag längsseits an der Innenseite des Wellenbrechers. Weiter hinein wagen wir uns nicht, da wir keine Tiefenangaben haben und offenbar noch gebaggert wird. Kein Segler da außer uns! Abgesehen von einigen Fischerbooten ist die Marina fest in der Hand der einheimischen Gummibootbesitzer. Gegenüber wird gebaggert, geteert, gemauert. Aber wir werden geduldet, keiner wirft uns raus. Gegen Abend ziehen die berüchtigten linsenförmigen Mistralwolken am Himmel auf, das Baro sinkt rasch auf 1008. Das hatten wir zuletzt am Capo Mannu! Schlechtes zeichen! Sicherheitshalber bringen wir noch zwei zusätzliche Leinen aus. Dann liegen wir gut. Glauben wir.

Den ganzen nächsten Tag kennt das Barometer nur eine Richtung: abwärts. Am frühen Abend steht es auf 1003 (gestern 1016). Und dann geht es schlagartig los: bis 1730 noch 2 - 3 Bft, 1830 schon 6 - 7 Bft, 1930 dann 7 - 8. In der Spitze zeigt unser Windmesser 9 Bft an. Hier pendelt sich der Wind dann auch ein. Wir machen kräftig Schräglage an der Betonpier! Unsere vier Festmacherleinen sind zum Zerreißen gespannt. Bald steigen auch die ersten Brecher über den massiven Wellenbrecher (sicher 15 Meter dick und 5 Meter hoch!) in den Hafen herein und landen auf unserem Schiff. Die Stimmung an Bord ist schlecht. Das soll zwei Tage so gehen. Herta kocht Abendessen, aber der Appetit ist uns gründlich vergangen.



Zehn Grad Lage an der Pier!

Da hupt's draußen auf der Mole. Ich schaue raus. Durch den heulenden Wind schreien zwei Männer im zerbeulten Peugeot wild gestikulierend auf mich ein. Der Skipper einer französischen Yacht, die mittlerweile auch an unserer Pier Zuflucht gesucht hat, steht mit dabei. Die beiden Männer im Peugeot, zwei einheimische Fischer, erklären uns, daß wir hier an der Außenmole nicht liegen bleiben können. "Molto pericoloso". Weshalb, verstehen wir nicht, aber sie scheinen durchaus zu wissen wovon sie sprechen und geben nicht nach. Nach kurzer Beratschlagung mit Francis, dem Skipper der französischen Yacht, entscheiden wir uns, dem Rat zu folgen und uns auf die andere Seite des Hafens zu verlegen. Dumm nur, daß es mittlerweile dunkel ist, daß es jetzt auch noch kräftig duscht und daß uns der Sturm mit weit über dreißig Knoten um die Ohren pfeift. Kräftiger Seegang herrscht im Hafen. Aber gesagt, getan, bringen wir's hinter uns! Gemeinsam und mit tatkräftiger Unterstützung der beiden Fischer verlegen wir beide Schiffe. Mit viel Glück liegen wir schließlich an der Innenmole, ohne größere Schäden, nur ein paar Schrammen im Gelcoat. Die Aktion dauert zirka eineinhalb Stunden, es kam mir vor wie fünf Minuten! Ich kann mich nicht erinnern, jemals zuvor derart schnell durch eine Marina gefahren zu sein...

Nun sind nicht mehr unsere Leinen gefährdet, dafür die Fender. Unglaublich, wie dünn unsere dicken Fender unter dieser Belastung werden...! Einer der Fischer sieht das und bringt uns einen seiner großen roten Ballonfender. Das bewahrt uns vermutlich in den folgenden vierundzwanzig Stunden vor einigen Schäden am Schiff.

Am nächsten Morgen checken wir die Lage: alle Fenderbezüge sind durch, die Fenderleinen ausgeleiert, ein Ruckdämpfer an den Leinen ist gebrochen, der Rumpf hat eine Schramme von der Betonpier. Alles in allem aber nichts Dramatisches. Am frühen Vormittag kommen die beiden Fischer vorbei und bringen das Regenzeug zurück, das wir ihnen gestern für die Aktion geliehen hatten. Wir bedanken uns mit zwei Flaschen unseres besten Rotweins und plauschen noch eine Weile. Wenn wir irgend etwas brauchen, sollen wir nur fragen. Was für eine Gastfreundschaft!


Es gibt auch Schönwetter bei Isola Rossa

Einer der beiden, Ezio, lädt uns auf sein Fischerboot ein und bietet uns zum "Rundgang" in Pappbechern sardischen Filuferru an. Echt harter Stoff am frühen Nachmittag! Doch ablehnen wäre sicher unhöflich... Ezios Schiff ist etwa so lang wie unseres und sieht von außen aus wie ein mittelgroßes Fischerboot am Mittelmeer eben so aussieht. Innen jedoch ist es mit High Tech vom Feinsten ausgestattet! Unter anderem mit zwei GPS-Systemen. Als Highlight gibt es einen Navigationscomputer mit elektronischem Seekartenmodul und 20-Zoll-Farbdisplay! Auf meine frage, ob er denn auch nach Papierkarte navigiert, reagiert er ziemlich überrascht: "das macht doch seit Jahren keiner mehr, gibt's sowas überhaupt noch?!" Lass das bloss nicht unsere Segelausbilder zu hause hören, denk' ich mir... Leicht angeheitert revanchieren wir uns mit einer Besichtigung auf Coco. Diesmal muß Ezio unseren mallorquinischen Hierbas kosten. Er ist ziemlich begeistert...

Am Abend stürzen wir uns ins Nachtleben von Isola Rossa. In einer der zwei Bars sitzen ein paar Leute um einen Tisch, es ist laut als wär die Kneipe rappelvoll, der Fernseher läuft und gleichzeitig steht die Stereoanlage auf voll. Hier ist's genau richtig für einen Absacker. Als wir zurück aufs Schiff kommen weht es nur noch mit 6 Bft, ein laues Lüftchen nach den Maßstäben der letzten Zeit.


Einladung an Bord des Fischerbootes "Minnie"

Am nächsten Tag nimmt der Wind ab, das Wetter wird besser. Kein Wunder, denn heute kommt Besuch aus Nürnberg, Andrea. Schon letztes Jahr hatte sie eine der schönsten Wochen unseres Törns erwischt, warum sollte es diesmal anders werden...? Als Ezio von Andrea's bevorstehender Ankunft hört, lädt er uns spontan alle drei zum Abendessen auf sein Boot "Minnie" ein. Wir nehmen natürlich freudig an. Gegen 2000 bringe ich seinen Ballonfender zurück und biete meine Assistenz in der Küche an (wer mich kennt weiß was das heißt...). Und ehe ich mich's versehe putze ich Vongole und schnippele Petersilie. Eine knappe Stunde später kommen die Mädels und wir erleben einen unvergeßlichen Abend. Primo piatto: Spaghetti alle Vongole; Secondo: Cozze alla Marinero; Hauptgang: Rotbarbe in Folie. Dazu ein ausgezeichneter vino, Vermentino di Gallura. Danach Dolci sardi: Formagietti, Amarettini, Bianchetti uswusw. Schließlich noch Frutta. Ein wunderbarer Abend an Bord des Fischerbootes, mit vielsprachiger Unterhaltung! Erst um 0100 verlassen wir Ezio und seine "Minnie" und machen uns - schwer beladen mit einer dicken Melone - auf den Heimweg die dreissig Meter zu unserem Schiff.


Ezio - unser perfekter und liebenswerter Gastgeber

Am folgenden Mittag lassen wir den Ort aufregender und unvergesslicher Erlebnisse im Kielwasser zurück. Auf dem Weg nach Capo Testa sehen wir "Minnie" auf Gegenkurs. Wir steuern auf sie zu und rufen ein letztes "Arrividerci" hinüber.

Mit Capo Testa beginnt der Abschnitt des Archipelago La Maddalena und dann der Costa Smeralda. Wir kommen nun in touristisch gut erschlossenes Gebiet, wie wir unschwer an der stark zunehmenden Zahl von Booten, am Strandrummel und an den Preisen erkennen. Kostete ein Liegeplatz bisher höchstens mal 50.000 Lire, dann ist man hier auch schon mal mit 250.000 dabei! Aber was stört's uns, wir ankern ohnehin meistens. Später werden wir erfahren, daß an den Ankerplätzen des Maddalena Archipels 30.000 Lire Gebühren pro Tag kassiert werden, nur fürs Befahren und Ankern. Man nennt's auch hier Naturschutz. Na ja.


Cala Corsara auf Isola Spargi


Tourist Attack

Die westlichste der Maddalena Inseln ist Isola Spargi. Die im Süden liegende Cala Corsara bietet türkisfarbenes Wasser, roten Granit und feinen Sandstrand. So schön es hier ist, so voll ist es auch. Ausflugsboote und Touristenmassen am Strand. Gegen Abend leert sich die Bucht, nachts liegen nur noch wenige Segelyachten hier. Am nächsten Morgen jedoch attackieren die Ausflugsboote wieder förmlich die Bucht. Nichts wie weg! Im Norden liegt Isola Santa Maria. Bei der Zufahrt in die südliche Cala erkennen wir im letzten Augenblick einen knapp überspülten Felsen vor uns im Wasser! Puuh, Glück gehabt! Ab sofort bleiben die "coastal features" in unserem elektronischen Seekartenmodul auf "ON"! Nicht umsonst warnt unser Seehandbuch vor den zahlreichen Klippen, Felsen und Riffen rund um die Inseln! Auch diese Bucht ist voll, doch wir finden für Coco noch einen Platz hinter einem großen Katamaran, gerade noch so zwischen einem Unterwasserfelsen und der Badeabsperrung. Nach einiger Zeit bemerken wir, daß der Kat, der bisher vor uns geankert hat, auf uns zutreibt. Offenbar hält der Anker nicht. Leider springt dann auch deren Maschine nicht an, so daß der Kat nach allen Regeln der Kunst manövrierunfähig ist und uns immer mehr in die Zange nimmt. Nix wie weg hier, bevor er uns vollends den Ausweg versperrt! Die Kat-Besatzung versucht, ihr Schiff per Beiboot abzusichern, doch vergebens. Im Vorbeifahren geben wir noch eine Leine rüber, damit sie den Kat erst mal provisorisch an einer der Muringtonnen festmachen können, die hier für die Ausflugsboote reserviert sind. Ein Gutes hat die Sache dann doch: nun liegen wir am vorherigen Platz des Kats, in sicherer Distanz von Felsen und anderen Hindernissen.


Ankerplatz vor Isola Santa Maria

Gegen Abend wird die Bucht wieder leer. Wir unternehmen Spaziergänge auf der Insel und genießen traumhafte Ausblicke bis hinüber nach Sardinien. Die Sonne geht langsam unter über den Inseln des Archipels, das Meer ist spiegelglatt und schimmert tief türkis über die macchiabewachsenen Granitfelsen zu uns herauf.

Wen interessiert da noch die Karibik...!



Sonnenuntergang über dem Maddalena Archipel


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