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Juni 2006 | Chalkidiki

Poseidons Dreizack


Ägäis und Chalkidiki
Wir wollen hoch hinaus. Um genau zu sein, ganz hoch in den Norden der Ägäis, zu den drei Landzungen der Halbinsel Chalkidiki, zu "Poseidons Dreizack". Bei Windstille motoren wir aus dem Golf von Volos hinaus. Ein paar Delfine begegnen uns. Im Trikeri Kanal liegt die Bucht von Chondri Ammos, die wir begutachten. Ganz im Osten hinter einem kleinen Landvorsprung befindet sich hier eine kleine Einbuchtung, die aussieht, als könne sie ein wenig Schutz bieten. Man findet einen brauchbaren Ankerplatz, wohl am Besten mit Landleinen, den Bug nach Süden gerichtet. Weil aber bereits einige Yachten dort liegen und der Platz damit voll belegt ist, segeln wir weiter.

Ein Fünfzig-Meilen-Schlag, größtenteils unter Maschine, bringt uns wieder hinüber nach Skopelos. Spät am Abend entscheiden wir uns für die Limnonaria-Bucht (39°05,3N, 023°41,8E) als Ankerplatz. Eine gute Wahl: schöner Sandgrund, kein Schiff weit und breit, viel Raum zum Schwojen. Kaum liegt der Anker gut sichtbar am Grund, springen wir hinein ins schöne Nass. Was für eine Erfrischung nach acht Stunden Motoren in windstiller Hitze. Die Wassertemperaturen scheinen sich langsam den für die Cococrew als angenehm empfundenen Werten zu nähern.

Und weil es so schön ist, bleiben wir gleich noch einen Tag. Schnorchelnd erkunden wir die lokale Unterwasserfauna: ein Tintenfisch, ein roter Seestern, ein Steinfisch (?), eine Leopardenschnecke, ein Stachelwurm, eine Rotbarbe, ein Zwergspitzkopfschleimfisch und, und, und. Unübersehbar, dass wir uns in der Nähe eines Naturschutzgebietes befinden. Mittags überspringt unser Thermometer erstmals in dieser Saison die 30-Grad-Marke. Hatten wir uns die vergangenen Wochen über die Kühle beschwert, beschweren wir uns heute über die Wärme. Der Mensch ist halt nie zufrieden.

Gegen Abend frischt es für eine Weile kräftig auf, ein Gewitter zieht - mit ausreichend Sicherheitsabstand - an unserer einsamen Ankerbucht vorbei. Wetterleuchten über Euböa bis Mitternacht.

Vorbei an einem bezaubernden, einsamen Strand mit einer geheimnisvollen Grotte unter einer leuchtend roten Felswand (39°10,5N, 023°55,3E) erreichen wir Steni Vala. Der kleine Ort liegt an einer winzigen Bucht auf Alonnisos. Kurz vor der Pier liegen dicke Steine am Grund, es heißt Augen auf und gut Abstand halten! Entgegen der Empfehlung unseres Revierführers ("Bug voraus") machen wir nach alter Gewohntheit römisch-katholisch fest, also mit Heck zur Pier, weil wir grundsätzlich lieber den schweren Buganker mit Kette benutzen. Hinten belegen wir lange Landleinen, das Dingi benutzen wir als Überstieg. Ein kurzer Schnorchelgang zeigt, dass der Anker sauber eingegraben zwischen drei alten Reifen am Grund liegt. Unter dem Ruder sind noch zirka vierzig Zentimeter Luft, dahinter ist nicht mehr viel Platz. Wir bleiben, es ist ja alles ruhig.

Steni Vala
Coco (rechts) in Steni Vala

Mit Sabine und Winfried, mit denen zusammen die Coco Crew heute nachmittag die deutsche Fangemeinde beim WM-Vorrundenspiel Deutschland - Equador (3:0) bildete, sitzen wir abends zusammen in einer lokalen Psarotaverna, Fischtaverne. Leider ohne Fisch heute. Dafür bekommt der Schiffer endlich mal wieder seine geliebte Ziege mit Zitronensauce. Wir plauschen gemütlich, bis es gegen 23 Uhr zurück geht an Bord. Gerade rechtzeitig zum Donnerwetter. Aus mehr oder weniger heiterem Himmel zucken plötzlich Blitze hernieder, Donner grollt, Böen pfeifen durch die Takelage. Unsere gemütliche Absackerviertelstunde verlegen wir nach drinnen und machen alle Luken dicht. Das Unwetter ist diesmal nah, allzu nah. Coco wird von den heftigen, genau seitlich einfallenden Böen zur Seite gedrückt, immer und immer wieder. Plötzlich fällt die Beleuchtung der Tavernen und der gesamten kleinen Bucht aus. Etwa im gleichen Augenblick bemerken wir, dass offenbar unser Anker nicht hält! Es dauert nicht lange und wir liegen schräg zur Pier! Dann ein Ruck: Grundberührung. Höchste Zeit, sich etwas einfallen zu lassen! Als erste Notmassnahme werden die achterlichen Leinen soweit wie möglich verlängert. Zweite Massnahme: Maschine an, Vorwärtsgang eingelegt. Dann akute Krisensitzung. Unsere Option A: Landleinen lösen und frei vor Anker liegen; Option B: weg hier, Coco in eine der benachbarten Buchten verlegen, wo wir mehr Schwojraum und keine harte Betonmole haben; Option C: Zweitanker ausbringen. Den Mut zum Auslaufen in dieser unwirtlichen, finsteren Situation bringen wir angesichts des engen Schlauchs dieser Bucht nicht auf, der Schwojraum ist wegen der übrigen Schiffe sehr knapp bemessen, also entscheiden wir uns für Option C. Binnen Minuten ist das Dingi klar, der Außenborder angebracht und angeworfen, unser Fortress Aluanker samt Leinen hineingeschafft. Während ich das Dingi rückwärts auf die gegenüberliegende Seite der Bucht steuere, fiert Herta die an Bord belegte Ankerleine bis nichts mehr geht, dann plumpst der Haken über die Dingibordwand ins schwarze Wasser. Schnell zurück an Bord, Leine dicht holen. Mit gemeinsamer Kraft ziehen wir - bis wir den größeren Teil der rund sechzig Meter Ankerleine wieder an Bord haben; das Ding schleift über den Grund wie über eine polierte Marmorplatte! Kurz bevor wir glauben, ihn wieder an Bord zu haben, greift er dann schließlich! Nur noch etwa 15 bis 20 Meter sind drin. Nicht ideal, aber bei 3 bis 5 m Wassertiefe brauchbar. Wenn es schlimmer werden sollte, können wir immer noch Option A oder B realisieren. Doch bis dahin heißt es: Beobachten! Zur Sicherheit gebe ich einige Wegpunkte zur Nachbarbucht O. Tzortzi in unseren Bordcomputer ein, falls wir doch noch in der Dunkelheit weg müssen - und denke mir dabei wieder einmal, wie sehr doch die moderne Technik zur Sicherheit an Bord beiträgt. Glücklicherweise flaut der Wind ab, das Unwetter hat seinen Zenit überschritten. Eine Stunde später ist der Spuk vorbei. Erschöpft und bangen Herzens klettern wir in die Kojen.

Motorengeräusche wecken mich aus meiner morgendlichen Tiefschlafphase. Neben uns versucht gerade eine Yacht, nach unserem Vorbild römisch-katholisch festzumachen. Ich kann gerade noch rüberrufen, dass die Tiefe hier nicht ausreicht um näher ranzugehen, und so einen Unfall verhindern. Verschlafen klettere ich an Land und nehme die Leinen an. Meine gute Tat für heute. Ein Plausch ergibt, dass auch unsere neuen Nachbarn eine harte Nacht hinter sich haben. Sie lagen auf der gottverlassenen Insel Pelagonisi (Kyra Panagia), der Gewittersturm zog direkt über sie hinweg, auch ihr Anker hielt nicht und sie verbrachten die halbe Nacht im Kampf gegen die Tücken des Gewitters, bevor sie sich in der frühen Morgendämmerung geschlaucht auf den Weg nach Alonnisos machten.

Die Insel Pelagonisi ist unser geplantes Ziel für heute. Es ist nicht weit dorthin, knapp 15 Meilen. Nach drei Stunden motorsegeln erreichen wir die Südbucht (39°19,4N, 024°03,4E). Hinter dem Inselchen N. Agios Petros ankern wir mit Landleinen. Das Wasser bilderbuchtürkis, der Himmel hellblau, eine leichte Brise wiegt Coco. Beim Schnorcheln prüfe ich eingehend das Unterwasserschiff: alles in Ordnung, lediglich ein geringfügiger Farbabrieb am Antifouling deutet auf die unerfreulichen Erlebnisse der vergangenen Nacht hin. Bei diesem Schnorchelausflug entdecke ich ein wunderschönes, handballgroßes Muschelgehäuse, das ich erfolgreich vom Grund bergen kann.

Muschelfund
Muschelfund

Ein ruhiger Abend wird uns beschert, Zikaden sorgen für die passende Soundkulisse, so schön kann Ankerliegen sein! Die Wettervorhersage ist nahezu ideal, die Stimmung an Bord ist bestens und wir freuen uns auf die für morgen geplante Etappe hinauf nach Chalkidiki.

Die Route führt durch ein Gebiet, in dem das griechische Militär regelmässig Schießübungen durchführt, also schalten wir VHF Kanal 16 ein und bleiben die ganze Strecke auf Standby. Die überwiegende Distanz der rund dreiundvierzig Meilen bis zum Mittelfinger Chalkidikis, Sithonia, können wir bei halbem Wind aus Ost gen Norden segeln! Schon bei 6 bis 7 Knoten zieht die neue Genua, dass es eine Freude ist. Als der Wind dann am Nachmittag südlich dreht und sich der Winddruck in die Segel dadurch deutlich abschwächt, wird der Kurs zu einem "Wackelkurs" (Zitat Herta), und wir müssen unseren Volvo in Anspruch nehmen. Doch nun ist es nicht mehr weit.

Mit unseren Freunden von der SY HARMONY haben wir uns per SMS in Porto Koufo verabredet, der Bucht im Südwesten von Sithonia (39°58,2N, 023°55,1E). Wir nähern uns der auf der Seekarte angegebenen Einfahrt, bis wir endlich die enge Lücke zwischen hohen Felsen sehen, die aus größerer Entfernung praktisch nicht auszumachen ist. Hinter der schmalen Einfahrt liegt die Bucht, rundum geschlossen und perfekt geschützt. Der weiße Sandstrand im südöstlichen Bereich ist zunächst sehr anziehend, also steuern wir direttamente dorthin, doch leider gibt es ein Haar in der Suppe - die Wassertiefen: unter 15 Metern geht hier nichts. Also versuchen wir unser Glück im nördlichen Bereich. Zunächst wollen wir auf Höhe der Betonmole frei ankern. Das tiefdunkle Wasser lässt erahnen, wie es hier am Grund aussieht: satter Grasgrund, doch unter Mißachtung jeglicher Erfahrung und wider jegliches bessere Wissen versuchen wir es trotzdem - mit dem zu erwartenden Erfolg. Beim Aufholen des Ankers können wir über zu magere Beute nicht jammern: eine reiche Auswahl an Leinen in allen Stärken, Farben, Materialien und Längen hängt am Haken - nur leider etwas muffig und insgesamt nicht mehr besonders einsatzfähig. Mit erhöhtem Kraftaufwand und viel Geschick kommen wir schließlich frei, und leichten Herzens trennen wir uns wieder von unserem anrüchigen Fang. Mein Bootshaken landet bei dem Manöver um ein Haar im Teich, ich spüre, wie mir das Blut in den Kopf schießt, und diesmal sicher nicht vor Anstrengung. Blöder Anfängerfehler!

Schließlich gehen wir längsseits an einem verlassen daliegenden, etwas angegammelten Ausbildungsschiff, dem einzigen Platz, der noch akzeptabel erscheint. Kurz darauf sehen wir die HARMONY einlaufen, die die Sithonia-Athos-Runde schon hinter sich hat. Wir winken sie zu uns ins Päckchen, und wenig später halten wir alle ein erfrischendes Bier in der Hand. Die Erfrischung haut mich allerdings direkt um, aber nach einem kurzen Powernap ist die Welt wieder in Ordnung.

Porto Koufo
Porto Koufo

Als am nächsten Morgen ein rostiger Tankwagen in der Nähe vorbeifährt, nutzen wir die Gelegenheit und bunkern den Dieseltank voll. Dann legen wir ab und verlassen Porto Koufo mit Kurs Porto Carras oder Nea Marmara, wir werden uns unterwegs entscheiden. Unter der Felsküste Sithonias liefert sich unsere Moody 38 bei Wind aus südlichen Richtungen eine spannende Regatta mit der Sunbeam 39 unserer Freunde. Etwa eine Meile südlich von Porto Carras ankern wir in einer hübschen, kleinen Badebucht. "Private Area! No Swimming Without Permission!" Wir bezweifeln, dass der im freien Wasser liegende Bereich einer offenen Bucht tatsächlich Privatgrund sein kann, also kümmern wir uns nicht darum.

Porto Carras
Porto Carras

Eine Stunde später laufen wir in Porto Carras ein. Beeindruckend überragt der Hotelkomplex die Einfahrt der luxuriös wirkende Marina. Diese Marina bietet sicher gute Liegeplätze, ist aber für unseren Geschmack zu teuer und unpersönlich. Gleich "nebenan", in Sichtweite, liegt der öffentliche Hafen von Nea Marmara. Dort wollen wir unser Glück versuchen. Der Hafen ist voll, doch die HARMONY findet tatsächlich noch einen letzten Liegeplatz. Die Cococrew dagegen schaut dumm aus der Wäsche. Doch mit etwas Fantasie findet man immer eine Lösung, und so auch hier. Das vorderste Schiff am ersten Steg ist eine amerikanische Yacht, die Eigner sind an Bord, also fragen wir, ob wir uns an ihrem Schiff "anlehnen" dürfen. Amerikaner sind freundliche Menschen, also
Muschelbewuchs
ist das kein Problem. Etwas abenteuerlich legen wir an: den Anker mit gut fünfzig Metern Kette ins Hafenbecken gelegt, gehen wir längsseits, geben achterlich eine Leine über, die wir schräg zum Kopf der Holzpier spannen. Der nette Nachbar nimmt noch ein paar Leinen und Springs entgegen und belegt sie bei sich an Bord. Zusätzlich holen wir noch die stark muschelbewachsene Muringleine einer fragwürdigen Boje an Bord, die vor unserem Bug liegt. Wir haben alle ein gutes Gefühl, besser wird es hier nicht gehen. Wir wissen, dass es eigentlich eine Zumutung für unsere amerikanischen Nachbarn ist und bedanken uns überschwänglich, doch sie winken ab. Wenn wir Segler nicht zusammenhalten, wer denn dann ...? Abends zieht ein heftiges Gewitter mit schweren Böen über unseren Hafen hinweg, unser Päckchen hält, Belastungstest erfolgreich überstanden. Wir belohnen uns mit einem Stadtbummel und feinem Fisch in der Psarotaverna Petros, an der Straßenecke gleich oberhalb des Hafens.

Barbuna
Barbuna - Rotbarbe gebacken

Nea Marmara
Nea Marmara (Coco ganz links außen)

Am nächsten Tag ist Schultag: Gottfried, der Skipper der HARMONY und Elektronikfachmann, gibt an Bord von Coco einen Crashkurs "Bordelektronik für Dummies". Seine Darlegungen sind exzellent und transparent - aber je tiefer es hineingeht in die Materie, desto mehr manifestiert sich meine Erfahrung aus früheren Schulzeiten, nämlich dass die Gabe, Physik zu begreifen, unter den Menschen ungleich verteilt ist.

Am Abend gewinnt Deutschland gegen Schweden mit 2:0, es geht mir wieder besser.

Von einem Taxi lassen wir uns zum idyllischen Bergdorf Parthenos fahren, von wo aus wir zu Fuß zurück wandern, durch schöne Bergtäler und blühende Landschaften, an Bachläufen entlang, dazwischen immer wieder herrliche Ausblicke auf's Meer.

Wanderung
Wanderung von Parthenos nach Nea Marmara

Um den wohlverdienten Schlaf bringt uns die Tatsache, dass Sonntag Nacht der Bär tanzt in Nea Marmara. Bis weit nach 3 Uhr morgens. An Schlaf kein Gedanke. Zum Ausgleich geht um 7 Uhr früh ein höllischer Baulärm los. Klar, es ist Montag morgen, die Arbeitswoche beginnt.

Auch für uns, wir sind ja schließlich hier, den (die?, das?) Chalkidiki zu erkunden. Wir machen klar Schiff, bunkern nochmal Wasser, Herta stockt unsere Bordvorräte auf. Pünktlich um 12 Uhr heisst es "Leinen los!" Ums südliche Kap Pseudokavos herum steht viel Welle, aber wenig Wind. Aus der dunstigen Ferne grüßt der Berg Athos mit seinem Heiligenschein aus Wolken herüber.

Zunächst laufen wir Ormos Sykias an, eine große Multi-Buchten-Bucht an der Südostseite Sithonias. Es gibt eine ganze Anzahl brauchbarer Ankerplätze, doch praktisch überall läuft Schwell hinein. Wirklich guten Schutz findet man nur im hinteren Bereich vor der Siedlung, hinter der Betonmole. Doch das wissen auch die lokalen Fischer, und so bleibt uns nur, einen anderen Liegeplatz aufzusuchen. Da der Schwell aus südöstlicher Richtung hereinläuft, ankern wir schließlich tief innen in der ersten Südeinbuchtung auf erstklassigem Sandgrund (40°02,1N, 024°00,5E). Leider treibt der Schwell reichlich Plastikmüll heran. Um 2130 spuckt unser Navtex eine Gale Warnung für die Nacht mit Böen aus Nord aus; also Fahrtlichter an, Anker auf und hinüber zum gegenüberliegenden Ufer. Gut, dass man hier so eine reiche Auswahl hat. Tatsächlich sorgt ein nächtliches Gewitter später an Bord für Unruhe, doch die Situation entpuppt sich mehr als Wetterleuchten und Donnergrollen denn als ernstzunehmende Bedrohung. Unsere späte Verlegung war allerdings eine durchaus sinnvolle Aktion.

Athos
Der heilige Berg Athos

Leicht übernächtigt machen wir uns am folgenden Morgen auf den Weg quer über den Sigitikos Golf, hinüber zum 2000 Meter hohen heiligen Berg Athos mit seiner 1000 Jahre alten Mönchsrepublik. Schiffe mit Frauen - oder weiblichen Tieren - an Bord dürfen sich der Küste nur bis auf fünfhundert Meter nähern! Wir wissen nicht, was für Strafen uns bei einem Verstoß erwarten würden, doch halten wir uns an die Regel und segeln in guter Sichtdistanz die Küste gen Norden hinauf. Beeindruckend kauern die gewaltigen Klöster an den Hängen des Berges, manch eines hängt klammernd an furchterregend steilen Abgründen hoch über dem Meer. Jedes eine kleine Welt für sich. Mit schäumender Bugwelle rasen in Gegenrichtung zwei schwarz gekleidete Mönche in einem Powerboat an uns vorbei. Haare und Bärte wehen im Wind. Wir grüßen hinüber. Keine Reaktion. Nicht sehr christlich.

AthosAthos
Klöster in der Mönchsrepublik Athos

Im Norden des Golfes liegt die kleine Insel Amouliani. Hier ankern wir südlich des Fischerhafens Glastri ganz brauchbar über abwechselnd Gras- und Sandgrund (40°19,1N, 023°55,5E). Heute weit und breit kein Gewitter, kein Wetterleuchten und kein Donnergrollen. Ist auch mal schön. Wir genießen Schutz und Ruhe bei einem leckeren Abendessen an Bord.

Es ist bereits Ende Juni. Schon um 1030 übersteigt die Temperatur die Dreißig-Grad-Marke. Um 14 Uhr schwitzen wir bei 35 Grad. In einer Taverne am Hafen von Amouliani schütten wir in kurzer Zeit ohne Schwierigkeiten eineinhalb Liter Wasser in uns hinein. Am Nachmittag machen wir uns dann wieder auf den Weg. Im Nordwesten des Golfs, an der Nordostflanke des Mittelfingers Sithonia, soll ein kleines Ankerparadies mit viel Türkis und Karibikflair liegen, die Diaporos Inseln. Auf dem Weg dorthin verbringen wir noch eine Nacht in Ormos Dimitriaki (40°13,5N, 023°45,3E), einem Geheimtipp unserer Freunde von der SY Anahita. Während unseres ausgiebigen, abendlichen Schnorchelausflugs zieht es wieder zu, in kurzer Zeit überzieht sich der Himmel mit einer seltsam dunstigen, rötlich-blauen Farbe, wir glauben in der ferne Donner zu hören. Wir gehen zurück an Bord, bergen Sonnensegel und machen die Luken dicht. Doch der Spuk ist bald vorüber.

Wir sind am nördlichsten Punkt unserer Reise angelangt. Von nun an liegt Südkurs an. Wir müssen eine Entscheidung treffen, wo wir Coco im nächsten Winter an Land stellen werden, denn davon hängt der weitere Kurs ab. Schon seit Tagen haben wir darüber diskutiert, die Entscheidung fällt nun zugunsten Preveza im Ionischen Meer. Zum einen, weil der uns noch unbekannte Weg zwischen Euböa und Festland lockt und wir so den Kreis rund Euböa schließen können. Außerdem bedeutet dies für uns die Durchquerung des berühmten Kanals von Korinth und somit auch die Vollendung der Umrundung des Peloponnes. Und last not least - ich gebe es verschämt zu - möchte der Skipper mal wieder ein wenig in einem Revier mit gemäßigteren Winden segeln. Das wunderschöne, aber auch sehr anspruchsvolle Paar Ägäis & Meltemi fordert doch bisweilen viel von Crew und Schiff.

Wärme, Windstille und Dunkelheit, das lieben die Biester. Unser Moskitonetz rettet uns in dieser Nacht sprichwörtlich das Leben. Durch unsere Freunde Denis und Tanja Katzer sind wir vor einiger Zeit auf die Firma Brettschneider aufmerksam geworden, die Moskitonetze in allen möglichen und unmöglichen Formen und Maßen liefert. Dort haben wir das "Alkoven"-Modell bestellt, dass wunderbar über unser Bett passt. Eine Anschaffung, die in ihrer Bedeutung dem Erwerb der neuen Genua kaum nachsteht, wie uns in dieser Nacht - umgeben von Millionen bedrohlich summender Miniaturvampire - klar wird! Leider hält so ein dicht gewebtes Netz aber auch den geringen Luftzug ab, der zur Kühlung bei diesen Temperaturen so dringend nötig wäre, und so lassen uns zwar die geflügelten Quälgeister in Ruhe, aber der Hitzestau lässt uns kaum schlafen in dieser Nacht.

Gut, dass unser nächstes Ziel, die Karibikidylle von Diaporos, nur zwei Seemeilen weit entfernt ist. Mit verquollenen Augen steuern wir das versprochene Paradies an. Zwischen Granitfelsen, die hier und da an die British Virgin Islands oder gar an die wunderbaren Seychellen erinnern, steuern wir in die ausgedehnte Bucht hinein. Die Landschaft rundum ist tatsächlich beeindruckend schön. Das "karibische" Wasser ist zwar eher etwas "murky", trüb, doch unsere Freude an der Umgebung beeinträchtigt das nicht weiter.

Ich nutze den Aufenthalt, um den Propeller unseres treuen Malta Außenborders provisorisch zu fixieren, denn dessen Gummirutschkupplung haucht gerade ihr Leben aus. Drei Schrauben "fachmännisch" zwischen Prop und Nabe eingedreht - und die Sache hält wieder für eine Weile. Diese Technik kann ich allerdings nicht zur Nachahmung empfehlen, denn sollte der Prop damit auf ein Hindernis stoßen, dann "tschüss". Doch einen Ersatz haben wir nicht an Bord und ist hier auch nirgendwo zu bekommen, und so würde die Alternative heißen: Paddeln. Angesichts der doch recht weiten Distanz zum gegenüber liegenden Festlandsufer wagen wir sodann die Fahrt - mit höchster Vorsicht. Es funktioniert.

Im südlichen Bereich gehen wir an Land und finden ungepflegte Hotels, billige Tavernen, triste Atmosphäre. Balkan-Camping-Flair. Wir sind enttäuscht. Vielleicht waren aber auch unsere Erwartungen zu hoch angesichts des so oft gehörten Karibik-Attributs. Womöglich ist auch der nördlichere Bereich attraktiver, dort sahen wir im Vorbeifahren doch einige hübsche Villen und gepflegtere Anlagen. Andere haben es schöner erlebt, für uns ist Diaporos ein eher durchschnittliches Erlebnis.

Nach dem Landgang hat Diaporos für uns seine Anziehungskraft verloren. So geht es am nächsten Morgen wieder südwärts. Wir verlassen den "Binnensee" durch die nördliche Ausfahrt, durch die wir gestern auch herein gekommen sind, weil der kürzere Weg durch die südliche Passage doch recht gefährlich ist und dort schon zahlreiche Schiffe auf Grund gelaufen sind. Die Coco Crew hat heute keine Lust auf Risiko. Kurz darauf setzen wir das Groß, leider arbeiten wir zu schlampig, denn es verklemmt sich prompt in der Mastnut, so dass es nicht mehr raus noch rein geht. Da wird wohl am Ankerplatz einer rauf müssen in den Mast! Beim Zerren am Segel trete ich auch noch dumm auf die Cockpitscheibe - knack - ein übles Geräusch, und wir haben einen hübschen Riss im Plexiglas. Irgendwie nicht mein Tag heute.

Am frühen Abend ankern wir in der bereits bekannten Sykias-Bucht. Hier machen wir unsere Turnübungen - bei schönem Segelwind von 12 Knoten vor Anker mit halb ausgerolltem Segel in den Masttop hinauf, herrlich ...! Nach einer Stunde, vielen herzhaften Flüchen und mit schmerzenden Gliedern ist das Werk schließlich vollbracht. Das Tuch liegt an Deck und wir können es neu und sauber einrollen. Dies war das erste Mal in sieben Jahren, dass sich unser Rollgroß derart verklemmt hat. Und leider kennen wir auch den Grund: unsere eigene Schlampigkeit. Das passiert uns nicht wieder!

Verklemmtes GroßVerklemmtes Groß
Verklemmtes GroßVerklemmtes Groß
Befreiungsaktion für das verklemmte Großsegel

Gerade noch rechtzeitig schaffen wir es in die nächstbeste Strandkneipe, um das Viertelfinale Deutschland gegen Argentinien mitzuerleben. Nach dem Elfmeterschießen ist Deutschland im Halbfinale! Alles ist wieder gut.

Die Sykias-Bucht meint es gut mit uns und lässt uns ausschlafen. Erst gegen 8 Uhr beginnt leichter Schwell hereinzulaufen, wird dann aber schnell lästig. Nach einem schnellen Morgenkaffee laufen wir bei nicht allzu starkem Ostwind gegen eine unerwartet heftige Welle bis zum Südkap Sithonias. Von dort geht es die gut sechzig Seemeilen hinunter nach Alonnisos, wo wir um 20 Uhr Ormos Milia (39°09,6N, 023°53,2E) erreichen.



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